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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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das deine Mutter?«
    »Nein, das ist die Haushälterin, eigentlich Pflegerin, Vizzo heißt sie. Eine Xanthippe, aber außer ihr hat es hier noch keine länger ausgehalten.«
    Vizzo, zu deutsch »welk«. So wirkt sie auch. Groß und mager ist sie, ohne Busen, zumindest sieht es unter der glattgezogenen Schürze so aus, steif und aufrecht steht sie da, freudlos.
    »Una mia amica«, stellt Alessandro mich vor, eine Freundin. Eine von vielen, denke ich, so abweisend wie diese Pflegerin ist! Dabei begegne ich ihr mit großer Freundlichkeit. In meinem augenblicklichen Zustand würde ich auch einem Feind zulächeln. Ich will dies alles möglichst rasch hinter mich bringen.
    Alessandro führt mich durch die Eingangshalle in den Salon, am Fenster sitzt seine Mutter in einem Rollstuhl. Sie streckt die Hand nach mir aus und wippt mit dem Kopf.
    »Wenn du dich vor ihr verneigst, hast du sie auf deiner Seite«, flüstert er mir ins Ohr.
    »Buon giorno, Signora Cabrese.«
    Kaum habe ich mich leicht vor ihr verneigt, lockert sich das maskenhafte Gesicht der alten Frau, ihr Mund öffnet sich …
    »Das ist nun meine kleine Schweizerin, die Felicita«, sagt der Sohn zu ihr, nimmt ihre Hand, die sie noch immer ausgestreckt hält, und setzt sie auf ihrem Schoß ab. Unterdessen hat sich die Vizzo wie eine Wächterin hinter den Rollstuhl gestellt: »Die Signora muss ihre Siesta machen.«
    Diesmal öffnet sich der Mund der greisen Dame noch weiter als vorher, und als sie ihre Hände nun an ihre Schläfen hält, sehe ich Munchs Schrei.
    Hilflos blicke ich zu Alessandro. Er legt seinen Arm um mich.
    »Mamma, wenn du dich hingelegt und etwas geschlafen hast, nehmen wir alle zusammen einen Tee, und danach bringe ich Felicita zurück nach Firenze. Okay?«
    Ich hoffe, dass wenigstens das aufmunternde
Okay
die alte Mutter in ihrer fernen Welt erreicht.
    Alessandro zeigt mir das frisch renovierte Anwesen. In die erste Etage wurde eine separate Wohnung eingebaut, die seine geschiedene Schwester bald beziehen wird. Er selbst hat nach dem Tod seines Vaters die beiden Zimmer im hinteren Hausteil übernommen, »aber ich bin nur hier, wenn es unbedingt sein muss.«
    »Ist deine Mutter schon lange krank?«
    »Zu lange.«
    Ich weiß nicht, wie er das meint, aber ich spüre, dass er ihre Krankheit nicht zum Thema machen will.
    »Und dir, wie geht es dir?«
    »Beh, sia ringraziato il Dio, Gott sei Dank beginnt der normale Unibetrieb wieder! Der Infarkt hat mich gezwungen, etwas zu reduzieren … Nun ja, man wird älter.«
    Bei unserem Spaziergang durch den Park gebe ich ihm die Hand.
    »Setzen wir uns auf die Terrasse?«
    Die Haushälterin serviert Kaffee und setzt sich unweit von uns in einen Schaukelstuhl. Alessandro scheint das – wie mich – zu stören: »Scusi, Signora Vizzo, wir möchten allein sein.«
    Auch zu zweit bleibt unser Gespräch unverbindlich und oberflächlich. Bis Alessandro sich auf seine bereits am Telefon geäußerte Frage besinnt: »Felicita, sei felice, bist du glücklich?«
    »Und du?«
    »Weiche nicht aus. Ich will von dir wissen, ob sich deine Entscheidung damals, dich von mir zu trennen, gelohnt hat. Dici, Felicita, sei ehrlich: Bist du glücklich geworden?«
    »Die Wahrheit ist: Ich bin weder verheiratet noch habe ich Kinder. Nach Studienabschluss habe ich an unserem Städtischen Gymnasium eine Stelle als Deutschund Italienischlehrerin angetreten – und dort bin ich noch immer. E basta. Und wie ist dein Leben geworden?«
    Alessandro steht auf, geht zum Geländer, zündet sich eine Zigarette an, wendet sich mir zu: »Ich habe eine Florentinerin geheiratet, die mich schon bald gelangweilt hat. Sie war das Gegenteil von dir, nicht äußerlich, hübsch war sie auch. Aber interesselos, häuslich, immer schon eine Mutter, auch wenn sie nie schwanger wurde. Nun, ich hatte meine Affären, sie wohl auch. Nach der Scheidung hat sie ihr Glück mit einem jüngeren Franzosen versucht.«
    Er zündet sich eine weitere Zigarette an: »Du rauchst nicht?«
    »Ich habe nie geraucht. – Was hast du denn nach der Scheidung gemacht, bist du liiert?«
    »Warum? Möchtest du bei mir bleiben?« Er lacht.
    »Lachst du mich aus?«
    »Ma no, sicher nicht.« Er setzt sich wieder zu mir: »Du hast einen kränklichen alten Matheprofessor vor dir – und ich sehe eine Frau, die noch attraktiver ist, als sie es mit zwanzig war.«
    »Danke … aber …«
    »Kein Aber. Es ist schon so: Mittlerweile unterrichtet die nächste Generation. Die gibt dir sehr wohl
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