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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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Selbstmord fähig? Während meines eigenen Sturzflugs zählte ich laut die Sekunden. Bei drei prallte ich auf. Ich war nicht tot, ich tat bloß so. Ein Mann umsorgte mich liebevoll, er streichelte mich und sprach mir Mut zu. Nachdem ich erwacht war, versuchte ich geradezu verzweifelt, dem Mann ein Gesicht zu geben. Christian war es nicht. Dass er es mit Sicherheit nicht war, verübelte ich meinem armen Partner wie ein Kindskopf, der trotzt, ohne zu wissen, weshalb. Chris lag seelenruhig neben mir, schnarchte leise und unregelmäßig vor sich hin, und ich zog ihn ein wenig am Ohrläppchen, vielleicht ein wenig stark, jedenfalls schreckte er aus dem Schlaf. Sein Blick galt einer Fremden. Die sagte unter anderem
ich habe dich satt!
– dabei meinte ich mich. Chris glaubte mir das erst nach meinem Versprechen, mich nicht mehr grundsätzlich gegen einen Klinikaufenthalt zu sträuben.
    Sich dem Lebenspartner zuliebe den Seelenklempnern auszuliefern – doch, eine tolle Motivation!
    Im Tunnel hat mein Radiosender gewechselt. Nun wird gejodelt und geschnulzt, sie driften gar in die Operette ab: Für einen Onkel Adalbert wird Dein-ist-meinganzes-Herz gesungen. Onkel Adalbert feiert den Dreiundneunzigsten und liest noch täglich ohne Brille die Zeitung, richtet seine Nichte aus. Die nächste Anruferin, eine jugendliche Stimme, will sich selber einen Musikwunsch erfüllen; ich beneide sie um ihre Wahl:
La vita rimane la cosa più bella che ho
. Nicht das Leben
ist
das Schönste, das ich habe, sondern es
bleibt
das Schönste, das ich habe, singt Nek.
    Auch mein Leben ist geblieben. Nicht schön, aber immerhin.
    Ich brauche lange, bis ich vor der Klinik eine Parklücke entdecke, die meinen Fahrkünsten entspricht. Den Bogen schaffe ich nicht mit dem nötigen Schwung, auf meinen Rückspiegel ist kein Verlass! Das widerliche Geräusch ist mir von letzter Woche bekannt: Hinterer Kotflügel rechts, eine Säule im toten Winkel war’s. Heute ist es der Pfosten einer Sperrkette. Beim Aussteigen leiste ich mir einen Seitenblick, hoffend, ich hätte mich getäuscht. Notenlinien gleich glitzern die neuen Kratzer im Sonnenlicht.
    Lustlos ziehe ich das Gepäck über den Platz. Früher blieb ich immer wieder mal gerne am Rand eines Parkplatzes stehen und versuchte, die zurückkehrenden Menschen ihren Wagen zuzuordnen. Bei Männern ist das leichter als bei Frauen, bei Einkaufszentren leichter als hinter einer Kathedrale. Eigentlich sollte ich meinen eigenen Wagen dem Psychiater präsentieren, der mir in die Seele gucken will. Sehen Sie: Mittelklasse, grau, zerkratzt, weder Hundegitter noch Kindersitz, das Heck ohne Golferabzeichen, keine Wappen von Übersee oder einer Stadt, zu wenige Kilometer für diesen Jahrgang …
    »Herzlich willkommen. Sind Sie gut angereist?«
    Die mütterliche Art der Frau an der Rezeption behagt mir nicht. Wäre dies ein Hotel, würde man sich nach der Lage des Zimmers erkundigen, ist es auch ruhig und hell und so. Aber vor dieser Frau, mehr Dame als Sekretärin, stehe ich wie eine Sünderin, Ablass und Einlass bitte, und sprich nur ein Wort, so wird meine Seele gesund.
    »Ja«, sage ich, »danke. Die Fahrt war anstrengend, viel Verkehr, aber ich fühle mich okay.«
    »Sind Sie am Ende selber gefahren?«
    »Nicht nur am Ende, den ganzen Weg.«
    Meine Antwort zaubert kein Lächeln auf ihr Gesicht. In meinem Zustand dürfte ich nicht Auto fahren, ich weiß.
    Die Dame lenkt zum Administrativen über: Hausarzt, Krankenkasse, Arbeitgeber – nach dem Bürokram kann ich in mein Zimmer gehen.
    Zur Pflicht des Portiers, der meine Koffer trägt, gehört eine Führung durchs Haus, »aber packen Sie zuerst in aller Ruhe aus.«
    Meine vorübergehende Bleibe ist besser, als ich befürchtet habe. Zwar ohne Fernseher und Internetanschluss, aber auf dem Nachttisch wenigstens ein Radio. Das Bett ist dreiseitig zugänglich, beim Lichtschalter und im Bad der Notruf, in der Dusche ein Hocker, an den Wänden Halterungen. Nach Spital zumindest riecht es nicht, das Fenster rahmt Felder ein, an deren Ende ein Bauernhof steht.
    In einer Schublade, ganz hinten, hat der letzte Patient seine Socken vergessen. Schwarz, hellgrau und orange geringelt, sorgfältig gefaltet, Farbring auf Farbring.
    Der Portier will mich durch das Haupthaus und die angebauten Gebäude führen, den Park könne ich mir allein ansehen, erklärt er, »frische Luft tut gut«.
    Die obligate Ruhestunde ist vorüber. Auf den Gängen, in der Loggia, der breiten Terrasse, an
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