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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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brach ich meine Zelte in Italien ab, um meinen Durst nach noch mehr anderswo zu stillen. Nicht zuhause natürlich, nicht bei meinem Vater und am Ort meiner Jugend. Spiele aus der Kindheit trieben mich an: Die Globuskugel wird in Richtung Sonnenaufgang gedreht, und mit geschlossen Augen wählt dein Zeigefinger irgendeinen Punkt …
    Statt Schafe zu zählen, zähle ich die Leute, die zu meiner Beerdigung gekommen wären.
    Man kann unter drei Menus auswählen, das Wasser stammt aus einer eigenen Quelle, Wein gibt es nur in Ausnahmefällen. So viel zu meiner Orientierung, bevor mich der Ober an meinen Platz führt. Zu drei Männern. Einer mit schlohweißem Haar, einer mit Glatze, zeitlos, fünfzig vielleicht, der Dritte, obwohl grau meliert, sicher auch noch keine vierzig. Ich zwinge mich, locker aufzutreten: »Hallo, guten Abend zusammen. Mein Name ist Felizitas Dornbach, es tut mir leid, dass ich Ihre Troika störe.«
    Während ich darüber nachdenke, ob
Troika
witzig oder eher dämlich war, steht der weißhaarige Herr auf, beugt sich vor: »DeLauro«. Er trägt einen dunklen Anzug, darunter ein gestreiftes Hemd, die Krawatte getupft.
    »Felizitas, Felizitas Dornbach«, wiederhole ich.
    Der Mann neben mir, zwischen gut genährt und dick, Kroner heißt er, hat zwar den militärischen Händedruck, strahlt jedoch die Gemütlichkeit eines Beizenhockers aus.
    Mir gegenüber sitzt der mit den grau melierten Locken, ein Typ mit Dreitagebart und einer runden Brille, mein kleiner Trost an diesem Altentisch. Allerdings reicht er mir als Einziger seine Hand nicht, beim angedeuteten Nicken bleibt sein sonnengebräuntes Gesicht ohne Regung.
    »Das ist unser Herr Feigenblatt«, erklärt DeLauro, wobei er dessen Schulter väterlich antippt.
    »Der heißt so, kein Witz«, ergänzt Kroner. Er unterdrückt sein Lachen nur schlecht. Der, von dem die Rede ist, blickt kurz auf.
    »Herr DeLauro, kommen Sie aus Italien?«
    »Ursprünglich ja. Siena. Eh si, die Muttersprache dringt eben selbst nach Jahrzehnten noch durch.«
    »Glücklicherweise! Ich finde den Akzent der Italiener sehr charmant; im Gegensatz zu dem von uns Schweizern! Wenn wir uns beispielsweise in Hochdeutsch versuchen, werden wir schon beim zweiten Satz belächelt.«
    »Da sollten Sie mich mal französisch reden hören«, sagt Kroner eiligst, »ein Horror!«
    Während wir drei uns Mühe geben, uns, wenn auch oberflächlich, zu unterhalten, bleibt Feigenblatt während des ganzen Essens schweigsam. In diesem Raum reden die Menschen ohnehin kaum. Schon beim Eintreten ist mir eine merkwürdige Gedämpftheit aufgefallen, so ein bisschen wie bei Beerdigungen, bevor der Alkohol fließt. In der Nüchternheit dieses Speisesaals ist ja auch jeder jedem ausgesetzt. Um ein bisschen Schutz zu gewähren, müssten die Topfpflanzen erst wachsen. Ob sie echt sind?
    »Durch Ihre Bräune könnte man denken, Sie kämen direkt aus der Karibik«, sage ich zu meinem Gegenüber. Ich möchte ihn etwas ins Gespräch ziehen.
    »Ja«, sagt er, »Karibik.«
    Den Mann an meiner Seite spreche ich auf seine Uhr an: »Die ist aber schön!«
    »Ach, wissen Sie, diese Rolex ist nicht echt, nur eine Kopie. Ich habe sie neulich durch den Zoll geschmuggelt.«
    Kroner erzählt nun von anderen Schmuggeleien, keiner muss sich mehr um Konversation bemühen. Als Verleger von Geschichts- und Kunstbüchern reist er viel, »früher mehr als heute.«
    »Ich verstehe nichts von Kunst«, sage ich. Das stört Kroners Ausführungen über gestohlene Artefakte aus Ägypten nicht.
    »Rauchen Sie?«, fragt mich der Cavaliere aus Siena, als die Ersten sich anschicken, den Raum zu verlassen.
    »Darf man denn in einem Kurhaus rauchen?«
    »Nicht überall. Kommen Sie mit.«
    Die beiden Tischgenossen schließen sich uns an. Wie ich mit meinem Tross den Saal verlasse, fühle ich mich besser als beim Hereinkommen.
    Feigenblatt zweigt schon an der Rezeption ab.
    Im Hof verabschiede auch ich mich von den neuen Bekannten. Sie hätten mich zu ihrem Spaziergang gerne mitgenommen, sagen sie. Ich habe sie als Nummer vier am Tisch offensichtlich belebt.
    Mein Mut, mich ihnen zu entziehen, fühlt sich wie ein kleiner Schritt Fortschritt an. Trotzdem. Ich darf von diesen Reha-Wochen keine Besserung erwarten. Denn wie die Dinge sind, werden sie auch danach sein. Ich bin an Sonjas Tod Schuld, das kann kein Psychiater ändern. Mir geht es gut, lass mir Zeit, ich werde nicht mehr ausrasten, versprochen, bald beginnen die Herbstferien! Mit vielen
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