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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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keiner verlangt von ihnen eine Entscheidung.
    Ich muss mich bei einem Aperitif von dem erholen, was ich noch nicht getan habe. Einerseits. Andererseits Klarheit erlangen, was das Schicksal von mir will.
    Das Schicksal!
    Ja, Jutta, du sagst, jeder sei seines eigenen Glückes Schmied, und auch DeLauro behauptet, fatalistisch seien nur Feiglinge. Und da erinnere ich noch einen Spruch meines Vaters, wonach jeder sein Schicksal selber anpacken müsse …
    Auch die aus der Siesta erwachende Stadt will mich beeinflussen. Sie bricht zu neuem Leben auf unter einer Sonne, die höher steht als bei uns – hier ist es noch nicht Herbst, hier ist noch vieles möglich.
    Bei Gilli haben mir die Touristen draußen keinen Platz gelassen, im Inneren des Cafés hingegen ist der vordere Raum leer wie ein Museum.
    Ein Kellner kommt lächelnd auf mich zu, rückt die Stühle zurecht und stellt die üblichen Fragen: »Woher? Wohin? Tutto sola, ganz allein?« Ich mag diese Floskeln. Obwohl mir das niemand glaubt: In Italien kommen sie aus dem Herzen. So schmeicheln mir auch die Komplimente des Kellners; ja, seine
Torta Fiorentina
werde ich versuchen, »è buonissima«, versichert er.
    Ewig hier verweilen! Nur einfach dasitzen. Dem nachspüren, was Italien mit mir macht.
    Balsam für die Seele
. Ich habe mit meinen Schülern einmal eine Liste mit rührselig-sentimentalen Ausdrücken erstellt. Weit oben stand der Seelenbalsam. Und nun gebraucht ihn selbst die Lehrerin. Aber es ist schon so: Hier muss ich keinem Psychiater aus der Hand fressen, um seiner Therapie zu entsprechen. Hier bin ich den Stempel der Kranken los. Gesund, hübsch und jung oder auch nicht, das spielt keine Rolle. Ich bin ich. Und eine Frau.
    Dass ich mich nicht mehr als Frau wahrnehmen konnte, wurde mir klar, als mich Jean-Pierre, Lateiner und größter Casanova im Schulhaus, an einem Fortbildungsseminar in der Garderobe zurückhielt. Nach einem wilden Kuss reagierte ich auf die Hand zwischen meinen Schenkeln mit Entsetzen, obwohl ich ihm vor meiner Krise eindeutige Avancen gemacht hatte. Kurz darauf griff mich Jean-Pierre im Lehrerzimmer an. »Du drischst wieder mal leeres Stroh!«, warf er mir vor. »Und andere«, entgegnete ich unüberlegt, »haben nichts als Stroh im Kopf!« »Oje«, sagte er, an die anderen gewandt, »unsere liebe Felizitas scheint vorzeitig zu altern.« Schon grinsten alle, da schob er noch ein »schade« nach. Ohne weitere Reaktion verließ ich das Lehrerzimmer. Im Korridor verlangsamte ich meinen Schritt, hoffend, eine Kollegin, ein Kollege würde mir folgen …
    »Sie können sich was Süßes leisten«, sagt der Kellner, stellt die Torte hin und bedauert, dass ich keine weiteren Wünsche habe.
    Meine Neigung, Exotisches zu fixieren, bringt mich in Schwierigkeiten: Eine ältliche Riesin im rosa Pulli, Federhut auf dem Hinterkopf, setzt sich an den runden Tisch direkt neben mir. Schon während sie den Zucker im Espresso rührt, beginnt sie zu plaudern. Ich greife nach einer Zeitung, wage aber nicht, darin zu blättern. Das Resümee ihres letzten Jahres tönt bitter, dazu ergibt sich ihre triste Lebensgeschichte von selbst. Würde ich nachhaken, käme mir ihr Unglück jetzt zu nahe.
    »Cameriere, il conto per favore!«
    Indem ich auch den Kaffee der Riesin bezahle, klinke ich mich aus.
    Nach dem eigenartigen Telefongespräch suche ich Gründe, die meinen Abstecher nach Vicchio rechtfertigen. Insbesondere, weil unser kurzes Hin und Her eher befremdlich war. Zu Beginn sagte Alessandro nur »Felicita«, danach wiederholte er meinen Namen als Frage: »Felicita?« Und ich lapidar: »Warum nicht?«
    Statt mir zu antworten, bilanzierte er unser damaliges Verhältnis mit der Frage: »Noch immer Single – und inzwischen die Welt bereist?« Da stach mich der Teufel: »Die Welt bereist ja, Single nicht mehr, Familie mit zwei Mädchen, Haus und Hund.« Von sich selber gab er nichts preis, sagte nur: »Komm zu mir aufs Land, dann siehst du alles selbst.«
    Dass ich ihn aus Florenz anrief, erstaunte ihn wenig, dass ich noch am heutigen Samstag zu ihm kommen würde, allerdings sehr. Sein Angebot, mich im Wagen abzuholen, lehnte ich ab. Er verabschiedete sich nicht mit einem »Ciao« oder »Arriverderci«, vielmehr wollte er zum Schluss wissen, ob ich glücklich sei.
    Ich hatte eine andere Stimme erwartet, ein anderes Gespräch. Alessandro schien gar nicht überrascht, ohne jede Wärme reagierte er. Anfänglich hatte ich sogar gezweifelt, ob er es war …
    Aber ja,
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