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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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Brustkorb hebt sich, der Brustkorb senkt sich. Es funktioniert. Allen Widrigkeiten zum Trotz.
    »Signora, si accomodi!«
    Nach eineinhalb Stunden werde ich ins Büro gerufen. Der Polizist ist sehr freundlich zu mir. Wir sitzen beide auf einfachen Holzstühlen, er hinter, ich vor dem Tisch, der ihm als Pult dient. Das Büro ist spärlich möbliert, an der Wand ein Stadtplan, eine Landkarte und ein Bild mit Polizisten hoch zu Pferd, über der offenen Türe zum Nebenraum hängt das Holzkreuz mit einem blutenden Christus.
    »Ich heiße Gianforte.«
    Schräg vor ihm steht ein Computer, den benutzt der Polizist aber nicht. Er nimmt ein Blatt aus der Schublade und spannt es in seine Schreibmaschine ein.
    Name, Vorname, Geburtsdatum, Herkunft, Beruf – das meiste muss ich dem netten Signore buchstabieren. Bei seinem Charme tue ich das gerne.
    Nun zum Hergang.
    Geduldig hört sich Gianforte meine Schilderungen an.
    Leider, erklärt er, basiere meine Geschichte nur auf Vermutungen, »und Sie wissen weder den Nachnahmen von dieser Donatella, noch wissen Sie, wo sie wohnt.«
    Er rät mir, per
Western Union
rasch Geld aus der Schweiz kommen zu lassen, »das funktioniert augenblicklich.« Den nötigen Ausweis kann mir die Botschaft erstellen. Er ruft dort gleich für mich an.
    Enttäuscht gibt er mir weiter, was er erfahren hat: »Die Botschaft kann Ihnen keinen Ersatzausweis geben, wenn Sie sich nicht ausweisen können.«
    »Wie soll das gehen, nachdem mir alles gestohlen worden ist!«
    »Das habe ich denen auch gesagt. Zudem öffnet die Botschaft erst nachmittags um sechzehn Uhr wieder.«
    Der Polizist rät mir, am Nachmittag dennoch hinzugehen, »vielleicht schaukeln die etwas für Sie.«
    »Niemals, Sie kennen die Schweizer nicht!«
    Bevor er mich entlässt, vergewissert er sich, ob ich auch begriffen habe, wo sich die Botschaft befindet, jenseits des Arno, es ist ein ganzes Stück zu gehen. Er schreibt mir seine Nummer auf, »Direktwahl«, fügt er hinzu, »für alle Fälle.«
    Auf dem Weg zurück ins Hotel kann ich mir nicht einmal einen Cappuccino leisten. Mit zwanzig hätte ich in einer Bar einen Kaffee getrunken und wäre dann einfach abgehauen …
    Mit zwanzig!
    Mit achtunddreißig wirfst du dich aufs Bett und weinst wie der hilflose Kindskopf, der du bist, denn kein vernünftiger Mensch liefert sich Abende lang Wildfremden aus! Aufgelöst ziehe ich das Zierkissen zur Brust –
    Da liegt mein Portemonnaie!
    Ausweis, Kreditkarten … Einzig ein Hunderter fehlt. Gar zwei? In der Eile des Aufbruchs habe ich zu Hause einfach alles Reisegeld, ohne nachzuzählen, eingesteckt.
    Erleichtert, so oder so.
    Ich bestelle einen Cappuccino samt Brioche aufs Zimmer, »Camera trecento per favore.«
    Wieder ist es das schwarze Zimmermädchen, das mir das Gewünschte bringt. Freundlich, und doch mit einem seltsamen Gehabe platziert sie das Tablett auf den Salontisch. Bevor sie sich der Tür zuwendet, schaut sie sich prüfend im Zimmer um: »Alles in Ordnung bei Ihnen?«
    »Oh ja. Da, sehen Sie!«
    Ich zeige ihr das Portemonnaie, öffne es, will ihr ein Trinkgeld geben. Aber sie wehrt vehement ab.
    »No, grazie. No!«
    Und weg ist sie.
    Ich spiele mit dem Gedanken, sofort heimzukehren.
    Was kann ich verlieren, wenn ich bis morgen bleibe?
    An der Rezeption sucht man mir die Nummer von Alessandro in Vicchio heraus.
    In einem Wechselbad der Gefühle gehe ich durch die Stadt. Die Vicchio-Nummer wiegt schwer wie ein Rucksack.
    Wegschmeißen?
    Ändert ein Telefonanruf etwas?
    Die großstädtische Betriebsamkeit des Morgens ist vorüber. Keine Huperei mehr, keine Abgase, sogar das Bettelvolk hat sich zurückgezogen. Florenz macht Siesta, Zeit zum Nachdenken.
    Unsere Bar von gestern ist verwaist. Donatella und ihr Freund kämen bestenfalls am Abend, sagt der Kellner. Ich gebe ihm einen Geldschein, er soll den beiden etwas offerieren und sie grüßen von mir, »affettuosamente«, bitte.
    In einer Seitenstraße setze ich mich auf eine Treppe und klaube die Telefonnummer heraus. Als wollte er die Nutzlosigkeit dieser Zahlen betonen, hat der Angestellte an der Rezeption sie gerade mal auf die abgerissene Ecke einer Tageszeitung gekritzelt.
    Aus einem Haus kommt ein Mann im Morgenmantel, die Füße in riesigen Filzpantoffeln, trottet zwei Blocks weiter, verschwindet.
    Er kommt mit einigen Flaschen Bier zurück.
    Und ich habe noch immer nicht telefoniert.
    In der Klinik sitzen sie jetzt beim Tee, lesen oder spazieren im Park – niemand fordert sie,
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