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Yolo

Yolo

Titel: Yolo
Autoren: Gisela Rudolf
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wenngleich ich keine Ahnung habe, wie ich unsere beiden Rollen besetzen sollte.
    Am Ende des Bahnsteigs werfe ich das Taschenbuch in einen Abfalleimer. Nach wenigen Schritten ruft Fromm mich zurück. Ich beuge mich über den Kübel, greife hinein. Das Grausen vor dem Unrat kommt erst, als meine Hand statt des Buches etwas Weiches, Feuchtes betatscht. Angewidert putze ich die Hand an der Jackenseite ab, hänge die Reisetasche bequemer um und gehe.
    In welche Richtung?
    Ich wähle die nahe Piazza Santa Maria Novella.
    Das Glück ist auf meiner Seite, im dritten Albergo, dem Hotel Roma, ist etwas frei. Die Lobby ist ansprechend, der Preis weniger. Ein Zimmer mit Blick auf den Platz wird mir für die zweite Nacht zugesichert.
    Im Aufzug fixiert mich der Portier im Spiegel. Er dreht sich mir erst zu, als sich die Lifttür öffnet. »Sei bella«, sagt er. Er weiß, dass wir Ausländerinnen lieber das Kompliment eines Liftboys als gar keines haben.
    Das Zimmer ist klein, abgeschrägt, zwei schmale Fenster zu einem Hinterhof.
    Als erstes suche ich die Bar meiner ehemaligen Schlummermutter auf. Ihr kleines Lokal existiert nicht mehr, obwohl ich mir bei einer Gasse, die es eigentlich nicht sein kann, eine letzte Chance gebe. Unauffindbar. Nun ja, die Zia Giusepppina wäre unterdessen auch weit über neunzig. Wenigstens existiert die Eckbar hinter der Piazza Repubblica noch.
    Alles wie damals. Kasse beim Eingang, drei seitliche Tischchen, sogar der Kronleuchter hängt noch immer schräg am alten Platz.
    Am Tresen macht mir eine Frau zwischen sich und einem Mann eine Lücke frei. Sie trinkt vino rosso. Den bestelle ich auch.
    »Salute!«
    »Salute!”
    »Come ti chiami?«
    Sie hat einen starken englischen Akzent.
    »Und wie heißt du?«
    »Donatella.«
    Meiner nächsten Frage kommt sie zuvor: »Der Name ist italienisch, aber ich stamme aus Oroville, Kalifornien. Mein Grossvater war Italiener. Ich bin vor einem halben Jahr nach Europa gekommen, um die Spuren meiner Ahnen zu erkunden. Dann bin ich hier hängengeblieben.«
    »Du hast dich wohl verliebt?«
    »Verliebt nicht gerade. Aber wir wohnen zusammen und sind uns gegenseitig eine Art Familienersatz. Ich bin Freundin, Mutter und Kind, er ist mein Freund, Vater und Sohn. Kann manchmal ganz schön anstrengend sein …«
    Sie beugt sich leicht nach vorne und blickt den Mann auf meiner anderen Seite an. Fast scheu stellt er sich als »Umberto« vor, und ich sage »ah, Umberto Eco!« Wenig witzig, beide kennen sie den Schriftsteller nicht.
    Umberto, untersetzt, schmal und bleich, guckt mich aus dicken Brillengläsern mit riesigen Pupillen an. Der Schal am Hals ist schmuddelig wie sein Hemd. Dunkel geränderte Fingernägel, seine ausgemergelten Arme sind tätowiert.
    Donatella ist bunt und billig angezogen, unten Sommer, oben Winter. Neben Umberto wirkt sie unverbraucht und kräftig.
    Während ich mich über dieses seltsame Paar wundere, füllt der Barista erneut unsere Gläser.
    »Und du«, fragt Donatella, »machst du hier Urlaub?«
    »Ich bin nur auf Durchreise. Zwei Nächte. Am Sonntag muss ich weiter.«
    »Wie schade«, sagt sie. Ich sei ihr sympathisch.
    »Du mir auch.«
    Nach dem nächsten Schluck hat die Italo-Amerikanerin eine Idee: »Ich kann dich zwar nicht einladen – trotzdem: Wollen wir zusammen essen? Hinter der Piazza Indipendenza ist unsere Stammbeiz, sie ist preiswert und gut.«
    Etwas überrumpelt sage ich zu. Aus Erleichterung, dass Umberto nicht mit uns kommt, bezahle ich den Wein.
    Severino de Barba, Besitzer der Beiz, drückt nach Donatella mich ans Herz, »ihre Freunde sind auch meine Freunde!«
    An einem der drei langen Tische ist am unteren Ende noch Platz für uns. Einige Gäste kennen Donatella, einer in blauem Overall ruft von weit hinten, »ciao, come stai, tutto bene?«
    Hier essen alle ein- und dasselbe. Die Pasta wird nachgeschöpft, danach bringt der Wirt ein Stück Fleisch, an dem ich mich müde kaue. Das Tiramisù reiche ich Donatella weiter, trinke dafür ihr Weinglas leer. Sie bestellt Nachschub, kichert.
    Als sich Severino in die Tischmitte setzt und Vin’ Santo zum Caffè offeriert, lehne ich ab. Doch bei Severino lehnt man nichts ab.
    »Evviva la vita!«, verkünde ich, was für alle normaler klingt als für mich selbst.
    Nachdem jetzt nur noch Freunde in der Beiz sind, wird fleißig geraucht. Donatella nimmt eine Zigarette nach der anderen. Ihre bräunlichen Zähne stören mich immer mehr. Mittlerweile spricht sie nur noch Englisch, und
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