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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Autoren: Brockhaus
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zum Herzen der Armen, mitleidig und mild,/ und was es dir zitternd und weinend enthüllt,/ ersteh’ es in Tönen dir wieder!« – dann konnte eine solche Maxime zur Zeit der Sozialistengesetze durchaus zum Politikum werden. Noch 1913 löste Hauptmann einen politischen Skandal aus, als er in einem Festspiel zur Säkularfeier der Befreiungskriege die militärische Germania durch eine deutsche Athene, die Göttin der Weisheit und des friedlichen Fortschritts, ersetzt wissen wollte. Bei Ausbruch des Ersten Weltkriegs 1914 folgte Hauptmann dagegen uneingeschränkt dem tonangebenden nationalen Chauvinismus. Von seiner leidenschaftlichen Anteilnahme an den Geschicken der jungen Weimarer Republik wiederum legt vor allem das 1928 veröffentlichte Epos »Till Eulenspiegel« Zeugnis ab. Die Zeitereignisse ließen in den folgenden Jahren, vor allem nach 1933, sein Weltbild zunehmend pessimistischer werden, obwohl Hauptmann erst allmählich in eine eher emotional begründete Opposition zum Nationalsozialismus geriet. Umgekehrt standen ihm die neuen Machthaber von Anfang an misstrauisch gegenüber. Einerseits schrieb Hauptmann ein »Requiem« für seinen jüdischen Freund Max Pinkus (»Die Finsternisse«, 1937), andererseits kann sein bedeutendes dramatisches Alterswerk, die »Atridentetralogie« (1941–48), nicht nur, wie Erwin Piscator in seiner Inszenierung von 1962 nahe legte, im Sinne antifaschistischer Propaganda bewertet werden. Es ging Hauptmann vielmehr auch um allgemein menschliche Probleme: »Gewöhnt Euch an das Furchtbare – hat/ die Welt sich längst ja doch daran gewöhnt.«
    1945 war »Der Wiesenstein«, Hauptmanns Anwesen in Agnetendorf, unter den Schutz der Roten Armee gestellt worden. Ein Jahr später, am 6. Juni 1946, starb Hauptmann dort im Alter von 84 Jahren in Agnetendorf. Am 28. Juli wurde er in einer Franziskanerkutte auf der Ostseeinsel Hiddensee beigesetzt.
    MYTHOLOGISCH KASCHIERTE ABRECHNUNG MIT DEM NATIONALSOZIALISMUS
    Gerhart Hauptmann wandte sich in seinem Alterswerk mythologischen Themen zu. Doch anders als sein Vorbild Goethe, als dessen legitimer Erbe er zu seiner Zeit gefeiert wurde, zeichnet er in seiner »Atridentetralogie«, einem zwischen 1941 und 1948 entstandenen Tragödienzyklus, ein düsteres Bild von der Antike und setzt sich von dem humanistischen Ideal des Klassikers ab.
    Die vier Stücke »Iphigenie in Delphi«, »Iphigenie in Aulis«, »Agamemnons Tod« und »Elektra« knüpfen inhaltlich an die griechische Mythologie und die Werke von Euripides, Aischylos, Sophokles und Goethe an. Trotzdem lässt sich die Tetralogie auch als versteckte Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Ära und dem mit ihr verbundenen Zusammenbruch zivilisatorischer Werte deuten. Wenn es etwa heißt: »Der Wahnsinn herrscht. Ganz Hellas ist sein fürchterlicher Herd …«, so darf man dies, auch wenn Hauptmann sich selbst nicht in diesem Sinn interpretiert hat, durchaus auf Deutschland beziehen.
    Formal und sprachlich an der Antike orientiert, wirkt die Tetralogie anachronistisch, in ihrem radikalen Pessimismus spiegelt sie indes den Zeitgeist der 1940er-Jahre wider.
    Vor allem in den Jahren der Weimarer Republik galt Hauptmann als der bedeutendste deutschsprachige Dichter nach Goethe. Auch zahlreiche Karikaturen bezeugen die Aufmerksamkeit, die dem Dichter Hauptmann zu seiner Zeit galt. Die bekannteste Persiflage auf ihn ist die Gestalt des Mijnheer Peeperkorn in Thomas Manns Roman »Der Zauberberg« (1924). Klaus Mann erinnerte sich 1948 an den Besucher im elterlichen Haus: »Gerhart Hauptmann … sah bekanntlich wie Goethe aus, was ihn an sich schon zu einer interessanten Figur in unseren Augen machte. … Aber seiner eigentlichen Faszination wurde ich erst später … gewahr.« Hauptmann erhielt unzählige Auszeichnungen, ihm zu Ehren wurden Festspiele veranstaltet, umso größer die Enttäuschung der 1933 emigrierten Künstler, dass gerade er sich mit den Nationalsozialisten arrangierte, zumindest anfänglich. Sein Rang als Dramatiker aber blieb unangefochten. Hauptmann beeinflusste beispielsweise Carl Zuckmayer, der 1969 in seinem Rückblick »Als wär’s ein Stück von mir« über ihn urteilte: »Für mich war und ist er die größte Dichtergestalt des Jahrhunderts …«
    Doch zum Vermächtnis gehört auch die Kehrseite. Mit der Abkehr vom politischen Realismus auf den westdeutschen Bühnen der 1970 er- und 1980er-Jahre wurde der Naturalist Hauptmann unmodern. Eine Rezension in der
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