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Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus

Titel: Worte bewegen die Welt - Die großen Dichter und Schriftsteller - Realismus und Naturalismus
Autoren: Brockhaus
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naturalistischen Literatur.
    Der Grund für diese Hinwendung zu den Niederungen des menschlichen Lebens war aber nicht nur die Lust an der Provokation oder das Bemühen, das mit der Industrialisierung entstandene soziale Elend auf der Bühne darzustellen. Dahinter stand zugleich der Anspruch, die Theorien des Empirismus und des Sozialdarwinismus literarisch umzusetzen. Die Auffassung, dass der Mensch durch Herkunft und Lebensumstände schicksalhaft geprägt sei, war eine der Grundlagen des naturalistischen Theaters und Ausdruck seines Anspruchs auf Wissenschaftlichkeit.
    Weltweite Anerkennung fand der Dichter mit dem Schauspiel »Die Weber«. Das Stück war Ende 1891 nach intensiven Studien und zwei Reisen in das Zentrum des historischen schlesischen Weberaufstandes von 1844 abgeschlossen worden – in der mundartlich-schlesischen Originalfassung von 1892 hieß es »De Waber«. Held des Dramas ist kein Individuum mehr, sondern das Kollektiv schlesischer Textilarbeiter, die aus purer Existenznot zum Aufstand gegen den sie ausbeutenden Fabrikanten gedrängt werden. Obwohl das Werk hartnäckig als revolutionäres Tendenzstück charakterisiert wurde, ging es dem Autor keineswegs darum, den Umsturz sozialer Verhältnisse zu propagieren. Er wollte, obwohl er die Widersprüche zwischen Kapital und Arbeit schonungslos offen legt, lediglich Mitgefühl mit dem Schicksal der Arbeiter und ihrer Familien wecken. Die aufklärerische Dimension des Stücks wurde allerdings überdeckt von seiner emotionalen Wirkung. Die ersten Aufführungen fanden 1893 an der Freien Bühne und den Berliner Volksbühnen statt, ab 1894 auch am Deutschen Theater in Berlin, nachdem die Vorstellungen in einem spektakulären Prozess erstritten worden waren – woraufhin die kaiserliche Hofloge gekündigt wurde. Diese ersten Aufführungen versetzten die Zuschauer in heftige Erschütterung, die sich in nichts von der Wirkungsweise einer klassischen Tragödie unterschied, und begründeten den Ruf Gerhart Hauptmanns als »Dichter des sozialen Mitleids«, als den ihn Thomas Mann bezeichnete.
    ›Man darf nicht das Gras wachsen hören, sonst wird man taub.‹
    Gerhart Hauptmann
    Die »Weber« bilden zweifellos den Höhepunkt im naturalistischen Schaffen Hauptmanns. Gleichzeitig verdeutlichen sie, wie wichtig für ihn das irrationale Moment war, das in diesem Fall als blinder Fatalismus auftritt. Nicht umsonst konnten spätere Interpreten den Versuch unternehmen, Hauptmanns Stücke mythisch oder archetypisch zu deuten.
    ZWISCHEN TRAUM UND WIRKLICHKEIT
    Nicht nur die künstlerische Entwicklung der folgenden Jahre, auch das Privatleben Hauptmanns war von so manchen Brüchen gekennzeichnet. 1891 war die Familie nach Schreiberhau im Riesengebirge umgezogen. Zwei Jahre später lernte Hauptmann während der Uraufführung von »Hanneles Himmelfahrt« die 18-jährige Margarete Marschalk, eine Geigerin und Schauspielerin, kennen. 1894 verweigerte Kaiser Wilhelm II., dem jeder Naturalismus als »Rinnsteinkunst« galt und der immer noch erbost war über den Skandal, den die »Weber« provoziert hatten, die Verleihung des Schillerpreises an Hauptmann. Der Dichter unternahm seine erste Amerikareise, trennte sich von seiner Familie und siedelte 1894 nach Berlin über. 1896 erhielt er den Grillparzer-Preis für »Hanneles Himmelfahrt«, »Florian Geyer« und »Die versunkene Glocke«. 1897 unternahm er zusammen mit Margarete Marschalk eine Italienreise.
    Nach den »Webern« lassen sich in Hauptmanns Gesamtwerk drei Haupttendenzen feststellen. Die erste und auffälligste manifestiert sich im Bruch mit dem Naturalismus zugunsten einer Art Neuromantik. Hauptmann, der Anfang 1896 mit der Aufführung des noch naturalistisch orientierten historischen Dramas »Florian Geyer« einen Misserfolg erlebte, präsentierte der staunenden Öffentlichkeit am Ende des Jahres das Märchen-und Versdrama »Die versunkene Glocke«, das ihm einen Sensationserfolg einbrachte. Künstlerisch weitaus wertvoller ist »Der Arme Heinrich« (1902), eine Dramatisierung des gleichnamigen mittelhochdeutschen Versepos Hartmanns von der Aue. Ein paar Jahre später legte Hauptmann seinem Drama »Der Bogen des Odysseus« (1913) den griechischen Mythos zugrunde. Er setzte damit die Tragödien- und Mythostheorie in die Praxis um, die er auf seiner Griechenlandreise 1907 konzipiert und in der Reisebeschreibung »Griechischer Frühling« 1908 fixiert hatte.
    HISTORISCHER HINTERGRUND ZUM DRAMA »DIE WEBER«
    Die
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