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Vertrauen

Titel: Vertrauen
Autoren: Anselm Gruen
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Vorwort
    I m ersten Jahrhundert vor Christus lebte in Rom ein Freigelassener mit dem Namen Publius Syrus. Er stammte aus Syrien und wurde als Sklave nach Rom verschleppt. Aufgrund seiner Intelligenz und seines Witzes wurde er dort freigelassen und schrieb zahlreiche Theaterschwänke. Bekannt wurden vor allem seine zahlreichen kurzen Sinnsprüche, die Eingang in die Schulen humanistischer Bildung gefunden haben. In seinen Sinnsprüchen ist immer wieder vom Vertrauen die Rede. „Wer Vertrauen verliert, kann nicht noch mehr verlieren.“ Offensichtlich hat Publius Syrus als Sklave erfahren, dass der, der das Vertrauen in sich selbst und in das Leben verloren hat, nichts mehr hat, an dem er sich festhalten kann. Er hat sich letztlich selbst aufgegeben. Und nur der, der das Vertrauen nicht aufgibt, vermag auch Vertrauen bei den Menschen zu finden und sich so aus seiner misslichen Situation befreien. Auch in den beiden anderen Sprüchen, die um das Vertrauen kreisen, kommt diese Erfahrung zum Ausdruck: „Wer Vertrauen verliert, womit soll der sich sonst noch retten?“ Und: „Vertrauen ist meist für immer hin, wenn es dich einmal verlassen hat.“
    Publius Syrus drückt mit seinen Sinnsprüchen seine eigene Erfahrung aus. Als Sklave hätte er keine Chance gehabt, aus seinem Leben etwas zu machen, wenn er nicht am Vertrauen in seine eigenen Fähigkeiten festgehalten hätte. Doch die Sinnsprüche zeigen keinen Weg, wie wir Vertrauen finden sollen. Sie beschreiben nur, wie wichtig es ist, das Vertrauen nicht aufzugeben. Nur wenn wir die Worte des PubliusSyrus auf dem Hintergrund seines eigenen Lebens lesen, können wir darin einen bis heute gültigen Weg erkennen. Er zeigt, wie wir am Vertrauen festhalten können, selbst wenn die äußere Situation noch so aussichtslos erscheint. Als Sklave hatte man in Rom keinerlei Rechte. Man war der Willkür seines Herrn ausgeliefert. So fühlen sich auch heute viele Menschen. Sie haben das Gefühl, von der Willkür ihres Arbeitgebers abhängig zu sein. Oder sie haben die Erfahrung gemacht, dass das Schicksal ihnen übel mitspielt. Gegenüber einem sinnlosen Schicksal, das ihnen immer wieder Leid aufbürdet, scheinen sie keine Chance zu haben. Doch das Schicksal dieses freigelassenen römischen Sklaven zeigt uns: Auch wenn die äußere Situation noch so bedrückend ist, auch wenn es kaum Aussicht auf Änderung zu geben scheint, so ist es doch wichtig, am Vertrauen festzuhalten. In uns ist eine Ahnung, was es heißt, vertrauen zu können. In jedem von uns ist die Fähigkeit zu vertrauen. Diese Fähigkeit ist oft genug überdeckt von anderen Erfahrungen und Gefühlen. Doch der Blick auf diesen Sklaven, der sich selbst nicht aufgegeben hat, will auch uns einladen, nach innen zu schauen und den Grund zu entdecken, auf den wir bauen können. Dieser Grund ist das Vertrauen, das Gott jedem Menschen als Fähigkeit ins Herz gelegt hat. Wir müssen nur daran glauben. Manchmal hilft es uns, das Schicksal anderer Menschen zu betrachten, damit wir an das Vertrauen glauben können, das auch in uns bereit liegt, selbst wenn die äußere Situation noch so sehr der Sklaverei ähnelt, in die Publius Syrus unfreiwillig geraten ist. Doch das Vertrauen – so glaubte er – konnte ihm niemand nehmen. Daran festzuhalten oder es aufzugeben, das liegt allein an mir. Wenn ich daran festhalteund das Vertrauen nicht loslasse, dann gibt es immer irgendwie Rettung.

    Vertrauen ist lebensnotwendig für jeden Menschen, zu allen Zeiten, in allen Kulturen. Über Vertrauen nachzudenken führt uns auch heute ins Zentrum der Religion und der Spiritualität. Jede Sprache bringt ihre eigene Erfahrung mit Vertrauen ins Wort und drückt dadurch schon etwas Bestimmtes aus. Das lateinische Wort „fiducia“ etwa hängt eng mit „fides“ (Glaube) zusammen. Und das wiederum geht auf das griechische Wort „pistis“ zurück. Dieses Wort wird in der Bibel sehr oft gebraucht. Im klassischen Griechisch hatte dieses Wort die Bedeutung von Zuverlässigkeit, Gewissheit, Treue. Dabei dachte man immer an eine Beziehung. Ich schwöre dem andern, dass ich zu dem stehe, was ich ihm versprochen habe. Pistis kann sowohl das Vertrauen, das einer genießt, bezeichnen, als auch das Vertrauen, das einer hat. Jemand ist vertrauenswürdig. Aber er vertraut auch dem andern, weil er ihm glaubt, dass er zu dem steht, was er ihm versprochen hat. In Griechenland bezeichnet „pistis“ vor allem die Beziehung zu einem andern Menschen. Im Neuen
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