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Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall

Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall

Titel: Wolfs Brut: Kommissar Kilians zweiter Fall
Autoren: Roman Rausch
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Sie sind so schön, und sie erzählen Geschichten. Wenn Sie Ihr Ohr ganz vorsichtig auf eine Düne legen, Sie dürfen sie nicht berühren, nur so viel, dass der Wind zwischen Ohr und Düne hindurchgleiten kann, dann erzählen sie von fernen Ländern und Menschen, die dort leben.«
    »Wirklich?«
    »Wenn ich’s Ihnen sage …«
    Der Schaffner stand an der Tür und schaute am Gleis entlang. Ein schriller Pfiff ertönte, und er stieg in den Waggon zurück. Gleich darauf setzte sich der Zug in Bewegung und verschwand nach einer Biegung aus dem Blickfeld.
    Als er in den Tunnel einfuhr, um auf der anderen Seite auf die Höchstgeschwindigkeit zu beschleunigen, begann aus einer dunklen Wolke der erste Schnee zu fallen. Er legte sich sanft auf die Hügel, die die Stadt umgaben, und tauchte sie in eine unschuldige Winterlandschaft.
    *
    Das letzte Licht verlor sich schnell an diesem trüben ersten Novembertag. Charles Mendinski lief bereits seit Stunden durch die kahlen Weinberge am Fuße der Festung. Die für den Vormittag angesetzte Sitzung des erweiterten Kreises im Sicherheitsrat war wegen den Vorfällen auf der Festung in die Abendstunden und in die Residenz verlegt worden. Er nutzte die Zeit, um einer Spur nachzugehen, die er morgens beim Gespräch zweier Polizeibeamter aufgeschnappt hatte. Diese hatten sich über das stundenlange Ausharren zweier Ermittlungsbeamter auf einem Fahnenmast amüsiert. Die beiden waren von den Rettungsdiensten bei ihrem Einsatz schlicht übersehen worden. Erst die Benachrichtigung über die Kommandoeinsatzzentrale brachte die Feuerwehrmänner dazu, nach etwaigen Überlebenden des Dachstuhlbrandes auf der anderen Seite des Randersackerer Turms zu forschen. Tatsächlich fanden sie zwei Beamte vor, die sprichwörtlich am letzten Faden einer bayerischen Flagge hingen und auf Rettung warteten. Nur der schnellen Reaktion des Einsatzleiters war es zu verdanken, dass ein Sprungtuch ausgebreitet wurde, um die stürzenden Beamten aufzufangen, bevor sie sich alle Knochen im darunter liegenden Fürstengarten gebrochen hätten.
    Doch weitaus interessanter fand Mendinski deren Schilderung um den Hergang des Brandes. Von einer CD war unter anderem die Rede, die ein suspendierter Kommissar namens Johannes Kilian während des Brandes in die Weinberge geworfen haben soll. Für den Verbleib dieser CD interessierte sich zu dieser Stunde niemand. Außer Mendinski. Er hatte die Weinberge ein ums andere Mal nach dem unscheinbaren kleinen Ding abgesucht. Aber der unerwartet frühe Schneefall erschwerte ihm die Suche zunehmend. Der Berg lag wie versiegelt unter einer zarten Schicht aus Neuschnee.
    Er gab das hoffnungslose Unterfangen schließlich auf und machte sich auf den Rückweg, bevor ihm die einbrechende Dunkelheit die Sicht auf die engen und gewundenen Weinbergwege gänzlich nahm und er sich die Beine in den angrenzenden kleinen Kanälen zu brechen drohte. Er war bereits den Schlossberg bis zum Übergang in die Burkarder Straße hinabgelaufen, als er ein unscheinbares, aber verräterisches Licht nicht weit von der Straße weg entdeckte. Er stapfte durch den feuchten Boden auf die Quelle des Lichtes zu. Neben einem Stein lag die CD. Er bückte sich und nahm sie in die Hand. Rund ein Viertel der Siliziumscheibe war herausgebrochen und musste an anderer Stelle im Weinberg liegen.
    Mendinski schaute sich den kleinen Goldling lange an und schmunzelte: »So viele Jahre, so viele Wege. Wenn du das noch hättest miterleben können, Genosse Weinmann. Du würdest es nicht glauben. Und du, mein lieber Freund James. Du hast mir Freiheit und eine ›letzte Identität‹ versprochen. Bekommen habe ich nur einen neuen Namen ohne Gesicht. Du hast dein Versprechen nicht gehalten. Was seid ihr euch beide am Ende doch so ähnlich …«
    Er schüttelte den Kopf und warf die CD ins Feld zurück.
    *
    Was um alles in der Welt hatte ihn nur dazu bewogen, dem Wunsch seiner Mutter nachzukommen? Er hasste Friedhöfe, er verabscheute das stumpfsinnige Herunterleiern irgendwelcher Gebetsformeln, und ihm standen die Haare zu Berge, wenn er diese frömmelnden Gesichter auch nur von weitem sah.
    Der Hauptfriedhof war in einen Teppich Abertausender kleiner Lichter gewoben. Manche Gräber kamen dabei mit zwei bis drei kleinen ewigen Lichtern aus, andere hatten wahre Flammenwerfer installiert, die wild flackernd ihre rußige Pracht in den Nachthimmel abgaben. Über allen lag jedoch das monoton leiernde Totengebet, das an die Verstorbenen
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