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Der 7. Rabe (German Edition)

Der 7. Rabe (German Edition)

Titel: Der 7. Rabe (German Edition)
Autoren: Sandra Gernt , Sandra Busch
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    Der Wind zerzauste seine Federn und die ersten Böen des nahenden Sturms verlangten äußerste Konzentration von ihm. Schlauer wäre es, sich ein sicheres Fleckchen zu suchen und das Unwetter abzuwarten. Aber Rajs Ziel war nicht mehr fern und er hatte seine Familie seit fünf langen Jahren nicht gesehen. Er freute sich darauf, seine Brüder nach dieser endlosen Studienzeit in der Hohen Akademie endlich wieder um sich zu haben. Den fröhlichen Haufen hatte er zwischen seinen meist unangenehmen und weniger freundlichen Kommilitonen besonders vermisst. An seine strengen Dozenten mochte er nicht einmal mehr denken. Noch immer zürnte er seinem Vater, dass der ihn nach einem ausgeuferten Streit an die Akademie verbannt hatte, wo er täglich die Nase in staubige Schriftrollen hatte stecken müssen. Nur weil er sich mit jedem Flügelschlag weiter von der Akademie entfernte, genoss er selbst einen so anstrengenden Flug wie diesen.
    Der Himmel wurde von Minute zu Minute dunkler, ein nahes Grollen kündete den Sturm an. Als die ersten Blitze herabzuckten, suchte er sich gezwungenermaßen und mit leisem Fluchen einen Landeplatz. Eine Lücke zwischen den Baumwipfeln nutzte er aus, um auf einer kleinen Lichtung mit rotbraunem Herbstlaub zu landen. Nach zwei Hüpfern verwandelte er sich in seine menschliche Gestalt, schüttelte die Falten seines Umhangs aus und schaute sich kurz orientierend um. Das Gestrüpp auf der einen Seite der Lichtung wirkte dicht genug, um ihm einigermaßen Schutz vor dem Sturm zu gewähren. Wie ärgerlich! Er hätte nicht mehr lange fliegen müssen, um sich in der warmen Behaglichkeit seines Zimmers ausruhen zu können. Stattdessen würde er etliche ungemütliche Stunden unter einem nassen Gestrüpp verbringen müssen.
    Mit raschen Schritten lief er über die Lichtung, bis ihn ein Geräusch inne halten ließ. Alarmiert spitzte er die Ohren. Lauerte da etwas in den Schatten zwischen den Bäumen? Plötzlich hatte Raj den Eindruck beobachtet zu werden. Nervös drehte er sich einmal um die eigene Achse und versuchte etwas im Halbdunkel des Waldes zu erkennen.
    „Ist da jemand?“ Er erhielt keine Antwort, allerdings glaubte er eine gleitende Bewegung im Unterholz zu entdecken.
    „Hallo?“
    Seine Brüder hatten ihm ein Stück des Weges entgegenkommen wollen. War das etwa ein Streich, den sie ihm spielen wollten? Vielleicht hatten sie ihn zwischen den Gewitterwolken entdeckt und sich spontan zu diesem Schabernack entschlossen, als er sich für eine Landung entschied. Zuzutrauen wäre es ihnen allemal.
    „Randyn? Bist du das?“
    Stille. Dann ein kaum wahrnehmbares Knacken.
    „Rayskel? Ris’tan?“
    Donnergrollen. Inzwischen schon sehr viel näher. Eine erneute Bewegung zu seiner Linken ließ ihn herumwirbeln.
    „Risser! Rynalph! Rakden! Das ist nicht witzig!“
    Es lachte auch niemand, am allerwenigsten er selbst.
    „Randyn, du Narrenprinz! Hört auf mit dem Unfug. Ich bin nicht die weite Strecke geflogen, um nun …“
    War da ein Knurren? Seine Nackenhärchen stellten sich auf. Schlagartig fühlte er sich bedroht.
    „Randyn?“, flüsterte er den Namen seines zwei Jahre älteren Lieblingsbruders. Unruhig trat er von einem Fuß auf den anderen, unschlüssig, wie er sich verhalten sollte. Das war kein Spaß mehr unter Brüdern. Das hier schmeckte nach Gefahr. Ein weiterer Blitz erhellte für einen kurzen Moment die Umgebung und brachte ein verstecktes Augenpaar zum Aufleuchten. Raj fuhr herum und begann zu rennen, wobei er seine Verwandlung einleitete. Doch bevor er Federn ausbilden und sich dem Himmel entgegenwerfen konnte, wurde ein Netz über ihn geschleudert. Er geriet ins Stolpern, verhedderte sich in den Maschen und stürzte hilflos zu Boden. Gleich darauf erstarrte er vor Furcht. Große Pfoten tauchten in seinem Blickfeld auf, tappten direkt auf ihn zu, verschwammen kurz und bewegten sich nun als Stiefel weiter. Neben seinem Gesicht blieben sie stehen. Raj ließ seinen Blick von den Stiefeln aus höher wandern. In ihnen steckte eine lederne Hose in braun-grünen Waldtönen und spannte ein wenig über den langen, kräftigen Beinen. Eine Tunika aus rauer grauer Wolle bildete zusammen mit einem Flickenmantel, der seinen Träger zwischen den Sträuchern sicherlich unsichtbar machte, den Abschluss der Bekleidung. Nun schaute er direkt in das Gesicht seines Angreifers – ein Gesicht von teuflischer Schönheit. Eine Wolke rötlichbraunen Haares rahmte es ein. Grüne Augen musterten ihn
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