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Wohin das Herz uns trägt

Wohin das Herz uns trägt

Titel: Wohin das Herz uns trägt
Autoren: Kristin Hannah
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sein kann, sich nicht zu rühren.
    Bald kommt Er wieder. Er ist schon viel zu lange weg. Es gibt nichts mehr zu essen. Die Sonnentage sind vergangen, und obwohl Mädchen froh ist, dass Er nicht da ist, fürchtet sie sich ohne Ihn. In einer Zeit, die längst vergangen ist, da hätte Sie geholfen, aber Sie ist TOT.
    Als der Wald wieder still wird, beugt sie sich vor, hält ihr Gesicht in das graue Licht Dadraußen. Langsam nähert sich die Dunkelheit der Schlafnacht, bald wird sie sich überall ausbreiten. Das fallende Wasser ist weich und süß. Sie mag den Geschmack.
    Was soll sie tun?
    Nachdenklich betrachtet sie den Welpen, der neben ihr kauert. Auch er ist wachsam und wittert. Sie berührt sein weiches Fell und spürt das Zittern in seinem Körper. Wahrscheinlich fragt er sich das Gleiche: Wird Er zurückkommen?
    Bisher war Er immer nur einen Mond weg, oder höchstens zwei. Aber seit Sie tot ist, hat sich alles verändert. Als Er gegangen ist, hat er sogar mit Mädchen gesprochen.
    SEIBRAVSOLANGICHWEGBINKAPIERT.
    Sie versteht nicht alle diese Wörter, doch sie kennt Kapiert.
    Trotzdem, Er ist einfach zu lange weg. Es gibt nichts zu essen. Sie hat sich losgemacht und ist in den Wald gegangen, um Beeren und Nüsse zu suchen, aber jetzt kommt die dunkle Jahreszeit. Außerdem wird sie bald zu schwach sein, um Essen zu suchen. Wenn das Weiße vom Himmel fällt und ihren Atem in Nebel verwandelt, wird es sowieso bald gar nichts mehr geben. Obwohl sie sich fürchtet, obwohl sie schreckliche Angst hat vor den Fremden, die Dadraußen leben - wenn sie hier bleibt, wird sie verhungern, und wenn Er zurückkommt und sieht, dass sie sich losgemacht hat, steht ihr Schlimmes bevor. Sie muss etwas unternehmen.
    * * *
    Das Städtchen Rain Valley, das zusammengekauert zwischen der Wildnis des Olympic National Forest und der grauen Brandung des Pazifischen Ozeans lag, war die letzte Bastion der Zivilisation, bevor der dunkle dichte Regenwald begann.
    Nicht fern von der Stadt gab es Orte, die noch nie von einem Sonnenstrahl berührt worden waren, Stellen, an denen der schwarze Lehmboden das ganze Jahr über im Schatten lag und es so dunkel war, dass die wenigen beherzten Wanderer, die sich hierher wagten, oft dachten, sie wären im Winterquartier eines Bären gelandet. Seit Jahrhunderten hatten sich diese Wälder nicht verändert, und noch heute, im Zeitalter wissenschaftlicher Wunder, waren sie unerforscht, vom Menschen unberührt.
    Vor knapp hundert Jahren kamen Siedler an diesen wunderschönen Ort zwischen Regenwald und Meer und rodeten gerade so viel Land, dass sie darauf in bescheidenem Maß Ackerbau betreiben konnten. Allerdings lernten sie mit der Zeit das Gleiche, was die einheimischen Indianer schon lange vor ihnen erfahren hatten: Dieses Land ließ sich nicht zähmen. Also legten sie Pflug und Harke beiseite und widmeten sich stattdessen der Fischerei. Lachs und Holz wurden die beiden Haupteinnahmequellen, und ein paar Jahrzehnte lang florierte das Städtchen. Aber in den neunziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts entdeckten die Umweltschützer Rain Valley und machten es sich zur Aufgabe, Vögel, Fische und Bäume zu retten. Die Menschen jedoch, die vom Land gelebt hatten, wurden in diesem Kampf vergessen, und so ging es mit Rain Valley still und leise bergab. Die hochfliegenden Pläne wohlhabender Bürger scheiterten, einer nach dem anderen. Die Straßenlaternen, auf die man sich so gefreut hatte, wurden nie aufgestellt, die Straße zum Mystic Lake blieb ein zweispuriges Minenfeld mit einer immer dünner werdenden Asphaltdecke und immer tieferen Schlaglöchern. Telefon- und elektrische Leitungen blieben, wo sie waren, nämlich oben in der Luft, hangelten sich faul von einem alten Pfosten zum nächsten und dienten bei jedem Sturm den Baumästen als willkommener Vorwand, mal wieder die Energiezufuhr für die Stadt zu unterbrechen.
    In einem anderen Teil der Welt, dort, wo der Mensch seine Ansprüche schon vor langer Zeit durchgesetzt hat, hätte der schleichende Verfall einer Stadt dem Gemeinsinn der Bürger möglicherweise den Todesstoß versetzt, aber nicht hier. Die Menschen von Rain Valley waren robust, hartnäckig und daher auch willens und fähig, an einem Ort zu leben, wo es an mehr als zweihundert Tagen im Jahr regnete und die Sonne die Rolle des reichen Onkels spielte, der nur selten einmal zu Besuch kam. Sie meisterten graues Wetter, morastige Wiesen, immer rarer werdende Arbeitsplätze und blieben trotz allem
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