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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
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blecherne Stimmen – es klang wie Radio 4. War tatsächlich das Radio an? Dann musste doch auch jemand hier sein, oder nicht? Ich fühlte mich beobachtet, als lauerte irgendjemand gerade außerhalb meines Blickfelds.
    Ich ermahnte mich, nicht paranoid zu werden, und ging in den Flur. Das Haus wirkte bewohnt – auf dem Boden lagen Teppiche, und an der Wand hingen Bilder. Doch das einzige Licht kam von der Tischlampe im Esszimmer.
    »Hallo?« Hier wirkte meine Stimme leiser, meine Schritte auf dem Teppich klangen gedämpfter. Jetzt war der Gestank nicht mehr so schlimm, vielleicht hatte ich mich auch daran gewöhnt und atmete mehr durch den Mund als durch die Nase.
    Das Radio war jetzt lauter, irgendein Interview zwischen einem Mann und einer Frau. Die Frau ereiferte sich wegen irgendetwas, der Mann versuchte sie zu beruhigen. Doch darüber hinaus war noch ein weiteres Geräusch zu hören, oder bildete ich mir das nur ein?
    Ich spürte etwas an meinem Bein, zuckte zusammen und konnte ein panisches Quieken nicht unterdrücken. Doch es war nur die Katze, die um meine Beine strich und dann durch die Esszimmertür ins nächste Zimmer huschte. »Lucy!«, rief ich eindringlich, denn ich hatte keine Lust, sie hinter einem fremden Sofa hervorzulocken. Ich stieß die Tür zum Wohnzimmer auf, das an der Vorderseite des Hauses lag. Hier war es dunkel, denn das Licht aus dem Esszimmer reichte nicht bis hierher. Die Vorhänge waren bis auf einen Spalt geschlossen, durch den etwas Licht von der Straßenbeleuchtung hereinfiel. Ich knipste wieder die Taschenlampe an, und plötzlich bewegte sich etwas und blitzte weiß auf. Wieder war es Lucy, die sich mitten im Zimmer auf dem Teppich rollte. Obwohl mein Herz laut pochte, hörte ich sie schnurren.
    Das Zimmer war nur dürftig eingerichtet: ein Sofa, davor ein niedriger Couchtisch mit einer Vase ohne Wasser, in der ein vertrockneter Nelkenstrauß steckte.
    Der Lichtkegel der Taschenlampe glitt über einen Sessel. Obwohl ich darauf gefasst und halb davon ausgegangen war, hier jemanden vorzufinden, hielt ich entsetzt die Luft an, als ich die schrecklich entstellte, aufgedunsene Leiche entdeckte. Die Haut war schwarz statt weiß, spannte an manchen Stellen, war an anderen aufgeplatzt. Statt Augen starrten dunkle Löcher ins Leere. Der Bauch war wie ein Ballon aufgebläht, und der Stoff darüber spannte – es war eine Frau, sie trug einen Rock und hatte noch Haare am Schädel, die in langen, dünnen Strähnen herabhingen und einmal blond gewesen sein mussten, jetzt allerdings mit irgendeiner schmierigen Substanz bedeckt waren. Viel schlimmer jedoch war, dass sich irgendwas in ihrem Bauch bewegte, als würde sie atmen – was doch gar nicht möglich war, oder? Als ich näher hinsah, erkannte ich, dass ihre Bauchhöhle nur so von Maden wimmelte … Ich war entsetzt und musste würgen, und doch konnte ich meinen Blick nicht von ihr abwenden. Ein Arm der Leiche lag auf der Lehne des Stuhls, der andere Unterarm auf dem Boden neben dem Sessel, als hätte sie ihn versehentlich, wie eine Fernbedienung, von der Armlehne gestoßen.
    Dann hörte ich wieder das Schnurren – verdammte Katze –, blickte auf den Boden und sah, wie sie sich neben der schwarzen Sauerei rollte, als sei es Katzenminze und nicht die faulende Körperflüssigkeit einer verwesenden Leiche.

 
    Colin
    Ich aß gerade Cornflakes und las laut die Witze im hinteren Teil der Beano -Jahresausgabe von 1982 vor, als mein Vater sich an die Brust griff und tot auf dem Küchenboden zusammensackte.
    Wenn ich so zurückdenke, glaube ich, dass das der Moment war, in dem mein Leben eine völlig neue Richtung nahm. Mein Vater war einer der Menschen, denen man Witze vorlesen konnte. Er verbrachte die Sonntage damit, sein Auto zu reparieren, und ich half ihm dabei, lernte, wohin die Teile gehörten und wozu sie dienten. Er lachte viel, und gemeinsam lachten wir über meine klapperdürre, ernste und verbitterte Mutter.
    Nach seinem Tod konnte ich mich nie wieder durchringen, die Beano zu lesen.
    Und ich lachte nicht mehr.
    Es ist trostlos, wenn man sich an einem Montagmorgen so fühlt. Andere Leute in meinem Alter haben einen Kater, oder das Wochenende beim Campen verbracht oder mit ihren Freundinnen gevögelt. Oder die Freundin eines anderen gevögelt. Ich habe mein Wochenende damit verbracht, einen Aufsatz zu schreiben und mir die Nächte mit Whisky und Pornofilmen um die Ohren zu schlagen. Ich kann mich also nur schwer auf die Budgetzahlen
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