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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
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sich mit der Agende Luft zu und ließ mich beim Leichenschmaus nicht aus den Augen. Danach verloren wir nie wieder ein Wort darüber.

 
    Briarstone Chronicle März
    Tote Frau laut Behörden ›mindestens ein Jahr‹ unentdeckt.
    Gestern wurde in einem Haus in Laurel Crescent (Briarstone) ein weiblicher Leichnam entdeckt. Laut Polizeisprecher habe die Leiche im Schlafzimmer im hinteren Teil des Einfamilienhauses gelegen und sich bereits in einem fortgeschrittenen Verwesungszustand befunden.
    Bei dem Gebäude handelt es sich um eines von mehreren Bauten in Laurel Crescent, deren Abriss geplant ist. Bauarbeiter hatten die Polizei verständigt, nachdem sie bemerkt hatten, dass eines der Gebäude offenbar noch bewohnt war.
    Im Haus wurde Post gefunden, die darauf hindeutete, dass die Tote möglicherweise ein Jahr unentdeckt dort gelegen hat. Der Name der Verstorbenen wurde bisher nicht bekannt gegeben, da die Behörden noch versuchen, Verwandte oder Bekannte ausfindig zu machen.

 
    Judith
    Ich heiße Judith May Bingham. Als ich starb, war ich einundneunzig Jahre alt.
    Ich habe mich bis zum Schluss vor vielem gefürchtet. Das klingt jetzt ziemlich verrückt, weil am Ende natürlich nichts, rein gar nichts mehr eine Rolle spielt. Ich fürchtete mich vor den Leuten, die nebenan wohnten, den halbwüchsigen Jungs, die kamen und gingen, wie sie gerade Lust hatten, an meine Tür schlugen, sich vor meinem Haus niederließen oder einmal sogar auf meinen Zaun setzten, bis er zusammenbrach. Die mit den Motorrädern die Straße rauf und runter fuhren, mit ihren Zigaretten und Getränkedosen herumsaßen, schrien und sich gegenseitig mit irgendwas bewarfen.
    Ich hatte Angst, ohne Geld dazustehen und mir kein Essen mehr kaufen oder das Haus nicht mehr heizen zu können.
    Und ich fürchtete mich immer mehr davor, das Haus zu verlassen.
    Ich fürchtete mich vor der Frau vom Sozialdienst, die eines Tages zu mir kam, um nach mir zu sehen. Sie sagte, sie habe gehört, dass ich vielleicht Hilfe bräuchte. Ich entgegnete, dass das nicht nötig sei, aber sie redete immer weiter und weiter auf mich ein, bis ich sie bat zu gehen. Genau genommen habe ich zu ihr gesagt, sie solle sich verpissen. Das hatte sie nicht erwartet und versucht, mich zurechtzuweisen. Sie sagte, dass auch sie wie jeder andere ein Recht auf eine angenehme Arbeitsatmosphäre habe und ich keinen Grund hätte, so unhöflich zu sein. Ich sagte ihr, dass sie keinen Grund hätte, in meinen eigenen vier Wänden mit mir zu sprechen, als sei ich eine Vollidiotin, und dass ich sie zuerst freundlich gebeten hatte zu gehen, sie mich aber ignoriert habe.
    Damals war ich noch mutig. Als sie gegangen war, hatte ich die Tür hinter ihr geschlossen und eine Weile gelacht. Es war schon eine ganze Weile her, seit ich das letzte Mal geflucht hatte, und es hatte sich gut angefühlt. Als wäre ich wieder jung.
    Vor vierzig Jahren besaß ich einen Pub am Hafen. Ein raues Plätzchen. An manchen Abenden war kaum jemand im Lokal, an anderen, wenn ein oder zwei Schiffe angelegt hatten, war es so voll, dass die Leute bis auf die Straße standen. Es gab auch leichte Mädchen bei uns. Als mein Mann Stan noch lebte, versuchte er, sie hinauszuwerfen, doch was mich betraf, so war mir ihr Geld ebenso willkommen wie das aller anderen. Was sie taten, um sich ihre Brötchen zu verdienen, war mir völlig egal.
    Es gab oft Schlägereien. Das gehörte einfach dazu, wenn sie von Bord kamen – sie betranken sich, suchten sich ein Mädchen, prügelten sich, wurden wieder nüchtern und kehrten rechtzeitig zum Einsatz der Flut aufs Schiff zurück. Wenn wir Glück hatten, trugen sie ihre Meinungsverschiedenheiten vor der Tür aus; hatten wir Pech, gingen schon mal Stühle und Gläser zu Bruch. Einmal wurde ein junger Kerl niedergestochen. Das war schrecklich; aber er hat überlebt. Er musste nur ein paarmal genäht werden, mehr nicht.
    Damals fürchtete ich mich vor nichts und niemandem. Ich nahm jeden Tag, so wie er kam, und wusste, dass auch schlechte Zeiten kommen würden. Ich wusste aber auch, dass ich diese genauso wie die guten überdauern würde. Das Einzige, was man nicht aufhalten kann, ist die Zeit.
    Damals fluchte ich ständig, hatte aber keinen Anlass mehr dazu, seit ich im Ruhestand war. Bis Miss Prim mit ihren Formularen auftauchte und mir sagen wollte, was ich zu tun hatte.
    Ein paar Stunden nach ihrem Besuch bekam ich jedoch Angst. Angst davor, sie würde mit irgendeinem offiziellen Schreiben
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