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Wofür du stirbst

Wofür du stirbst

Titel: Wofür du stirbst
Autoren: Elizabeth Haynes
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konzentrieren.
    Das Problem ist, dass ich nicht einmal genau weiß, ob ich überhaupt eine Freundin möchte. Ich mag mein Leben so, wie es ist, sorgfältig geordnet. Ich mag mein Haus, wie es ist. Ich habe keinen Ordnungsfimmel – kein Psychologe hätte sich je um meinen Geisteszustand Sorgen gemacht –, aber vermutlich empfände ich es als mühsam, mich an die Sachen eines anderen zu gewöhnen. An neue Klamotten in meinem Schrank. Neue Bücher in meinem Regal. Fremdes Essen in meinem Kühlschrank. Nein, das will ich nicht. Ich habe bei mir zu Hause keinen Platz. Und in meinem Kopf vermutlich auch nicht.
    Sex wäre trotzdem nicht schlecht.
    Garth hat es wieder einmal nicht geschafft, am Wochenende zu baden. Obwohl er am anderen Ende des Büros sitzt, rieche ich ihn ab und zu. Sosehr ich auch versuche, mich auf wichtigere Dinge zu konzentrieren, muss ich immer wieder in seine Richtung schnüffeln und darüber staunen, dass ein normaler erwachsener Erwerbstätiger so einen Gestank verbreiten kann. Er pult sich das Essen aus den Zähnen und macht dabei saugende Geräusche, und obwohl ich das ekelhaft finde, ertappe ich mich dabei, dass ich immer wieder zu ihm hinübersehe und ihn dabei beobachte, wie er mit einem Finger zwischen den Backenzähnen bohrt. Ich frage mich, was er wohl gegessen hat, das dermaßen in seinen Zähnen festklebt. Er hat wie ein Schuljunge Tinte an den Fingern, und obwohl ich den Mann hasse und jede Sekunde seiner Gegenwart eine Art Folter für meine Sinne ist, fasziniert er mich auch irgendwie – er weckt eine unstillbare Neugier in mir. Wie kann jemand, der so abstoßend ist, in unserer zivilisierten Welt überleben?
    Martha trudelt spät ein. Sie trägt neue Schuhe, wie ich bemerke – wenn ich mich nicht irre, das dritte Paar in diesem Monat.
    »Morgen, Colin – schönes Wochenende gehabt?«
    Natürlich will sie das nicht wirklich wissen. Ich habe eine Weile gebraucht, um herauszufinden, dass dies nur eine rhetorische Frage ist, ein Ritual am Montagmorgen. Als sie mich die ersten paar Male danach fragte, erzählte ich ihr lang und breit, was ich am Wochenende gemacht hatte, breitete sorgfältig alle Details vor ihr aus, obwohl selbst ich wusste, dass man einige davon keinesfalls vor einer Kollegin zum Besten geben sollte. Nach ein paar Minuten hatte sie nur noch ausdruckslos vor sich hingestarrt. Danach fragte sie mich nie wieder. Erst kürzlich fing sie wieder mit dem Montagsritual an, weil sie mitgehört hatte, als ein anderer mir dieselbe Frage gestellt und lediglich eine kurze Antwort darauf erhalten hatte.
    »Ja, danke. Und du?« Natürlich war es ein ereignisreiches Wochenende gewesen, vor allem der Freitagabend, aber ich hatte nicht vor, ihr Einzelheiten zu schildern.
    Gelegentlich hörte ich, wie sie jemandem erzählte, was sie am Wochenende gemacht hatte – Drachen steigen lassen, backen oder wandern, auf eine Party gehen oder Fußball schauen, ihren Cousin besuchen oder ihren Garten pflegen –, doch mir antwortete sie immer auf die gleiche Art und Weise.
    »Ich auch, danke.«
    Vaughn schickt mir eine Mail und fragt, ob ich mittags mit ihm ins Red Lion gehen will. Ich bin versucht ihn zu fragen, ob wir uns nicht sofort treffen sollen; ich glaube kaum, dass hier in den nächsten drei Stunden etwas Aufregendes geschehen wird. Es ist traurig, dass der Gedanke an eine halbe Stunde in einem dunklen, muffigen Pub neben dem Gaswerk in Begleitung von Vaughn Bradstock so viel verlockender ist.
    Ich komme zwanzig Minuten zu früh zum Red Lion, es ist noch nicht einmal Mittag, aber Vaughn sitzt schon mit einem Pint John Smith’s vor sich an unserem Stammplatz in der Ecke und wartet. Vaughn und ich haben vor vielen Jahren zusammengearbeitet. Er war damals als Selbstständiger für die IT-Abteilung der Gemeindeverwaltung tätig, und aus irgendeinem Grund hatten wir uns angefreundet und weiter engen Kontakt gehalten, selbst als er längst andere Projekte betreute. Inzwischen ist er in Festanstellung bei einem Softwareentwickler in der Innenstadt beschäftigt. Der Red Lion liegt da sehr günstig.
    »Colin«, sagt er tonlos und nimmt so meine Ankunft zur Kenntnis.
    »Vaughn«, antworte ich.
    Er möchte bestimmt wieder über seine Freundin reden. Oder über Philatelie.
    Ich wappne mich mit ein paar Schlucken Bier und frage mich, ob es für einen kleinen Whisky noch zu früh ist. Unterdessen murmelt Vaughn irgendwas davon, dass seine Freundin eine Affäre haben könnte. Ich überlege, ob ich ihn
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