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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten
Autoren: Marcia Muller
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Der Sessel, ein einst schäbig gewordenes
Stück, das einmal mir gehört hatte, prangte nun in einem blauweißen Überzug.
Ihr Telefonat drehte sich um Ermittlungen, an denen sie gerade arbeitete. Das
Büro, das der frühere Hausbesitzer unverschämterweise als Arbeitszimmer
bezeichnet hatte, war so etwas wie ein umgebauter überhitzter und stickiger
Wandschrank. Ich betrachtete den Ficus, den Rae mit einer ultravioletten Lampe
anstrahlte. Seine Blätter waren staubig und hingen vor Wassermangel schlaff
herab. Um ihr eigenes Äußeres schien Rae sich ebensowenig zu kümmern. Ihre
kastanienbraunen Locken hatten eine Wäsche nötig, Jeans und Pullover sahen aus,
als hätte sie darin geschlafen. Es überraschte mich nicht. Sie hatte eine Woche
zuvor eine große Enttäuschung erlebt. Ihr derzeitiger Lover, der Besitzer einer
Schmuckladen-Kette, Willie Whelan, hatte von ihr die Unterzeichnung eines
Ehevertrages verlangt, bevor er ihr einen Diamantring zur Verlobung schenken
wollte. Seine Bemerkungen über ihre Unfähigkeit im Umgang mit ihren Finanzen
hatten Rae in Rage gebracht. Seitdem schwankte sie in ihrer Verletztheit zwischen
Wutanfällen und Depressionen. Im Augenblick befand sie sich wohl in einer
depressiven Phase, denn als sie eingehängt hatte und sich mir zuwendete, sah
ich, daß ihre Augen gerötet waren. »Geht’s dir gut?« fragte ich.
    »Ach...« Sie drehte die ausgestreckte
Handfläche nach oben und nach unten.
    »Wieder Streit mit Willie?«
    »Hör mal, ich kann nicht darüber reden.
Ich würde gleich wieder anfangen zu weinen. Was gibt’s bei dir?«
    Da ich hergekommen war, um mich
abzulenken, wollte ich nicht über Hy sprechen. »Ich wurde zur
Gesellschaftersitzung gerufen.«
    »Oho. Wieso?«
    »Keine Ahnung, aber Hank benahm sich
reichlich seltsam, als er mich aufforderte zu kommen.«
    »Komisch.« Sie legte ihr
sommersprossiges Gesicht in nachdenkliche Falten. »Hier schwirrt seit kurzem
ein Wort herum — ›Reorganisation‹.«
    »Ja, laut Hank soll das das Thema
sein.«
    »Für mich klingt das wie ein
Euphemismus für Rückstufung oder Entlassung. Der Laden hier wird mir einfach zu
kommerziell, wenn du verstehst, was ich meine.«
    »Ich verstehe. Ich will nicht den
Eindruck erwecken, als schwelgte ich in Nostalgie, aber ich vermisse die gute
alte Zeit auch.«
    Früher herrschte bei All Souls eine Art
Hinterhofatmosphäre und die erregende Herausforderung, dem juristischen
Establishment die Stirn zu bieten. Nun gehörten wir selbst zum
Establishment. Wir waren eine GmbH geworden. Wir hatten das viktorianische Haus
erworben und es seit Jahrzehnten zum erstenmal wieder gestrichen und
herausgeputzt. Wir hatten auf der anderen Seite des kleinen Parks zwei weitere
Häuser für unseren Mitarbeiterstab gemietet. Wir besaßen eine 800er
Telefonnummer, über die uns unsere Klienten kostenlos anrufen konnten. Wir
hatten Marketingfachleute beauftragt, uns Verbindungen zu großen Unternehmen in
Nordkalifornien zu schaffen.
    Doch das waren nur die oberflächlichen
Veränderungen. Andere gingen wesentlich tiefer, und die Tatsache, daß mir
augenblicklich der Schweiß ausbrach, wenn ich an einer Gesellschaftersitzung
teilnehmen sollte, zeigte, wie tief. Die Gesellschafter — meine Freunde.
    Hank Zahn, der Chef, war der einzige
noch übriggebliebene Mitbegründer von All Souls. Er war mein ältester und
engster Freund. Er, einige andere und ich hatten zusammen in Berkeley ein Haus
bewohnt, als ich meinen Abschluß in Soziologie machte. Seine Frau Anne-Marie
Altman, ebenfalls Mitbegründerin der Kooperative, war inzwischen ausgeschieden
und Chefberaterin eines Zusammenschlusses verschiedener
Umweltschutz-Organisationen geworden — zu der auch die von Hy geleitete
Stiftung gehörte. Dennoch war sie meine engste Freundin geblieben.
    Jack Stuart, unser Strafrechtsexperte,
würde an der heutigen Sitzung nicht teilnehmen. Er war am Morgen weggefahren,
um ein paar schmerzliche Dinge zu verarbeiten, die er im Zusammenhang mit einem
Fall erleben mußte, den er und ich gerade abgeschlossen hatten. Aber Larry
Koslowski, unser Experte für Handels- und Gesellschaftsrecht, würde dabeisein.
Larry war unser hauseigener Gesundheitsapostel, aber seine guten Absichten,
besonders aber seine merkwürdigen kulinarischen Konglomerate, hatten mich mehr
als einmal an den Rand einer Vergiftung gebracht. Dann war da noch Pam Ogata,
unsere Steuerrechtsexpertin, die Anne-Maries Nachfolge angetreten hatte. Sie
war
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