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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten
Autoren: Marcia Muller
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Gesellschaftern, mit denen ich
am wenigsten gut konnte, würde sich psychologisch negativ für mich auswirken.
Also ließ ich mich neben Hank nieder und stieß ihm den Ellbogen in die Rippen,
damit er rückte.
    »Tut mir leid, daß ich mich verspätet
habe«, sagte ich. »Ich bin aufgehalten worden bei einem Fall, an dem ich gerade
arbeite.« Hank gab nicht nach, schubste zurück, machte dann aber unter einem
Seufzer doch bis zur Mitte der Bank Platz. Larry warf mir eine Walnuß zu. Pam
lächelte und sagte: »Besser spät als nie.«
    Pam liebte es, Redensarten so von sich
zu geben, daß sie wie Weisheiten aus dem fernen Asien klangen. »Sehr
tiefsinnig, Pam«, sagte ich. »Vielleicht bekommst du Ted dazu, den Satz ins
Lateinische zu übersetzen.«
    Sie zog eine Grimasse in meine
Richtung. Ich sah kurz zu Gloria und Mike hinüber, doch keinen von beiden schien
das zu amüsieren. Glorias Blick war ungeduldig, Mikes irgendwie verärgert.
    Na ja, kein Wunder, dachte ich und
erinnerte mich an das Gespräch, das ich gerade mit Rae geführt hatte. Für die
beiden waren Recht und Gesetz und alles, was damit zusammenhing, bis hin zu den
völlig zwanglosen All-Souls-Gesellschaftertreffen, eine ernste Sache. Sowohl
Gloria als auch Mike hatten das, was Hank, Pam und Larry in den Schoß gefallen
war, unter großen Entbehrungen erreicht. Obwohl ich Mikes Biographie nur in
Umrissen und Glorias überhaupt nicht kannte, war ich sicher, daß keiner von
ihnen auch nur die geringsten Privilegien oder einen Hauch von Luxus genossen
hatte. Hank dagegen war in einem wohlhabenden Vorort von San Francisco
aufgewachsen und hatte vor dem Abschluß seines Jurastudiums keinen einzigen Tag
gearbeitet. Pam hatte die Kindheit auf einer Ananasfarm auf der Insel Lanai in
Hawaii verbracht. Sie hatte dort und später auch auf dem Festland Privatschulen
besucht und sich auf das Studium an der juristischen Fakultät der Universität
von Chicago vorbereitet. Das Schlimmste, was sie je hatte erleiden müssen, war
der Schnee dort gewesen. Larry schließlich war sein Leben lang rebellisch
gewesen, nach dem College hatte er ein paar Jahre lang Europa unsicher gemacht
und dann mit links das Juraexamen in Yale bestanden. Es war ein Wunder, daß sie
alle auch nur ein Gran sozialen Gewissens entwickelt hatten, aber irgendwie war
es ihnen gelungen. Wahrscheinlich hatten Sicherheit und ein gewisses
Anspruchsdenken, die sie von Kindesbeinen mitbekommen hatten, bewirkt, daß sie
einerseits ihren Job als Anwälte ernst nahmen, sich andererseits aber auch die
Freiheit für so schlichte Dinge, wie herumzublödeln und einander mit Nüssen zu
bewerfen, bewahrten. In gleichem Maße mußten Gloria und Mike diese Mätzchen
unangebracht, wenn nicht gar beleidigend erscheinen.
    Seltsamerweise konnte ich mich in beide
Seiten hineinversetzen, denn ich kannte beide. Mein Vater war Obermaat in der
Navy gewesen, ein unterbezahlter Job, bei dem er oft auf See sein mußte. In
seiner Abwesenheit hatte meine Mutter alle Hände voll damit zu tun, fünf
schwierige Kinder aufzuziehen und zum Unterhalt der Familie beizutragen. Gewiß,
wir besaßen ein weitläufiges Haus mit einem großen Grundstück in einem der
schmalen Cañons von San Diego, doch es hatte Jahre gegeben, in denen wir von
der Großzügigkeit unseres Onkels Ed abhängig gewesen waren, eines
Berufsfischers, der uns nach jedem Fang Kabeljau, Barsch und Heilbutt
vorbeibrachte. Bis heute esse ich freiwillig keinen Fisch mehr.
    In meiner Familie war der Abschluß der
High-School gleichbedeutend mit dem Ende jeder finanziellen Unterstützung, und
anders als einige meiner schnorrenden Geschwister hatte ich diese Regel ernst
genommen. Ich arbeitete in der Filiale einer Kaufhauskette, wohnte zu Hause,
zahlte meinen Anteil an Kost und Logis und versuchte, noch etwas für ein
eigenes Apartment zu sparen. Bedenkt man meinen Hang zur Verschwendung, würde
ich wohl noch heute zu Hause leben und auf das Apartment sparen, wenn mir der
Filialleiter des Ladens nicht geraten hätte, aufs College zu gehen. So brachten
mich meine hervorragenden Noten und ein kleines Begabtenstipendium nach
Berkeley. Doch auch die Collegezeit war nicht gerade sorgenfrei gewesen —
schließlich arbeitete ich zeitweise nachts und am Wochenende für einen
Sicherheitsdienst.
    In diesem Augenblick ging mir durch den
Kopf, daß ich aus den Augen verloren hatte, wer und was ich wirklich war.
Vielleicht lag das daran, daß ich mehr erreicht hatte als erwartet — im
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