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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten
Autoren: Marcia Muller
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erwartet hatte. Ich drehte mich
um und rannte zurück zu Andrés, der noch immer nachdenklich auf das Meer
hinausschaute.
    Ich war an diesem Morgen zu einer
Pilgerfahrt auf gebrochen in dem Glauben, daß alles aus und vorbei wäre. Jetzt
wußte ich, daß meine Suche erst begann.

Montag, 7. Juni
     

1
    »He, wohin so eilig? Ich muß mit dir
reden.«
    Hank Zahn hielt mich an der Schulter
fest, als ich mich auf der Eingangstreppe zum Hauptgebäude der
Anwaltskooperative All Souls an ihm vorbeischlängeln wollte. Er hielt mich so
abrupt an, daß ich auf der von Nebel feuchten Stufe fast ausgerutscht wäre.
»Tut mir leid«, sagte mein Boss und stützte mich mit der anderen Hand, dabei
rammte er mir seine Aktentasche heftig gegen den Ellbogen.
    »Laß mich los«, zischte ich, »bevor wir
noch beide ausrutschen und uns die Beine brechen.«
    Hank gehorchte und fuhr sich mit der
freien Hand durch sein graubraunes, drahtiges Haar. »Tut mir leid«, wiederholte
er.
    »Mach das nicht noch mal.« Ich ging
weiter und hoffte, ihm zu entkommen, solange seine Verwirrung noch anhielt.
    »Augenblick!« rief er.
    Ich seufzte und drehte mich um. »Was
ist?«
    »Ich muß noch vor der
Gesellschafterversammlung um drei mit dir reden.«
    Jetzt war es kurz vor zwölf. »Worüber?«
    Hanks graue Augen hinter der dicken
Hornbrille wichen mir aus. »Wegen einiger Einzelheiten der Reorganisation.«
    Sie hatten also schließlich einen Namen
dafür gefunden — Reorganisation —, für die vielschichtigen Veränderungen bei All
Souls von der kleinen Stadtteil-Kooperative zu einer der größten
Anwaltskanzleien dieser Art in Nordkalifornien. Das gesamte letzte Jahr über
hatte es stets mindestens einen in unserer Mannschaft gegeben, der einen neuen
Status oder ein neues Aufgabengebiet bekommen hatte. Heute wollten sie sich
anscheinend die Chefermittlerin vornehmen. Hanks Blick zufolge kam nichts
Erfreuliches auf mich zu. Aber ich hatte Wichtigeres zu tun...
    »Hank«, sagte ich, »ich bin an einem
Fall und muß weg.«
    »Es ist dringend...«
    »Ich versuche, vor drei zurück zu
sein.«
    »Wenn nicht, dann...« Er brach ab und
sah jetzt richtig schuldbewußt aus.
    »Ja?«
    »Die Gesellschafter möchten, daß du an
der Sitzung teilnimmst.« Das war ein schlechtes Zeichen. Ein sehr schlechtes.
Was, zum Teufel, hatte das zu bedeuten? Sie wollen mich doch wohl nicht feuern ?
In letzter Zeit hatte es eine Reihe von Entlassungen gegeben, und ich hatte
weiß Gott oft genug gegen die wenigen Regeln bei All Souls verstoßen. Aber ich
war eine gute Ermittlerin, und das wußten sie verdammt genau.
    Ich runzelte die Stirn. Doch bevor ich
noch etwas sagen konnte, stürmte Hank die Stufen hinauf. »Sei pünktlich«, rief
er mir über die Schulter zu.
    Ich sah ihn im Haus verschwinden,
gebeugt unter der Last seines Schuldbewußtseins. Ich zuckte mit den Schultern
und lief zu meinem alten roten MG, den ich zwischen die Straßenecke und einen
Hydranten gezwängt hatte.
     
    Auf dem Weg zum Oakland Airport ging
mir die Sache nicht aus dem Kopf. Ich hatte gerade einen Fall erfolgreich
abgeschlossen, der mich völlig vereinnahmt hatte. Eigentlich wollte ich nun mal
für eine Weile etwas langsamer treten, doch schon nach anderthalb Tagen war ich
wieder drauf und dran, mich gefühlsmäßig völlig zu verausgaben. Von Bernal
Heights in San Francisco, wo die Kanzlei von All Souls war, bis zur Bay Bridge
auf der Höhe von Treasure Island quälte mich die Frage nach meinem Job, von
Treasure Island bis zum Flughafen das Problem mit Hy.
    Hy — Heino — Ripinsky.
Gentleman-Schafzüchter und Leiter einer Umweltstiftung in Vernon, der Stadt im
Mono County am Ufer des Tufa Lake. Ein Multitalent: Flieger, Sammler von
Büchern, Naturwissenschaftler, mal Diplomat, mal Demonstrant für einen guten
Zweck. Letzteres hatte ihm ein langes Strafregister eingebracht. Sprachbegabt:
Englisch, Spanisch, Russisch und Französisch, alles fließend und akzentfrei. Er
war hochgewachsen, schlaksig, hatte eine Hakennase, struppig-dunkelblondes Haar
und einen Schnauzbart. Zwar bevorzugte er derbe, sportliche Kleidung, doch wenn
es ums Spendensammeln ging, machte er auch im förmlichen Outfit was her. Ein
zugleich sanfter und leidenschaftlicher Mann, dem man nachsagte, er könne auch
gefährlich, vielleicht sogar gewalttätig werden.
    Und er hatte seine dunkle Seite. Es gab
eine Tragödie in seiner Vergangenheit: Julie Spaulding, die Frau, die ihn nach
eigener Aussage vor der Hölle bewahrt hatte,
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