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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten
Autoren: Marcia Muller
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erkrankte unheilbar und starb.
Julie hatte seine selbstzerstörerischen Neigungen erkannt und in weiser
Voraussicht die Spaulding-Stiftung gegründet. Die Arbeit für die Stiftung
sollte seine einsamen Stunden ausfüllen. Auch ein Geheimnis gab es in seiner
Vergangenheit: eine Lücke von neun Jahren vor der Zeit am Tufa Lake; Gerüchte
um diese Zeit schlossen eine Tätigkeit für die CIA ebenso ein wie eine
Haftstrafe. Doch ich war überzeugt davon, daß keines dieser Gerüchte auch nur
entfernt an die Wahrheit heranreichte.
    Doch Hy wollte mir, selbst nachdem wir
Ende März ein Liebespaar geworden waren, die Wahrheit nicht erzählen. Diese
Barriere des Schweigens hatte mich veranlaßt, eine Akte über seinen Fall
anzulegen. Sie enthielt sämtliche bruchstückhaften Informationen über seine
Vergangenheit, die ich gesammelt hatte. Diese Akte hatte ich vor etwas mehr als
einer Woche vernichtet. Ich war zu der Überzeugung gelangt, daß ich weder das
Recht hatte, noch die Notwendigkeit bestand, in etwas herumzuschnüffeln, das er
offenbar geheimhalten wollte. Heute morgen hatte ich dann von seiner
Assistentin erfahren, daß Hy, bestens geplant und durchdacht, sein spurloses
Verschwinden in Szene gesetzt hatte. Daraufhin legte ich eine neue Akte an.
    Zunächst war es mir wie ein Abenteuer
vorgekommen, ihn aufzuspüren. Vielleicht wollte er mich damit auf subtile Weise
herausfordern. Doch als ich eine Stunde lang nachgedacht hatte, fragte ich
mich, ob dieses Verschwinden wohl wirklich geplant gewesen war. Hy spielte
keine Spielchen, nicht solche Spielchen. Ich mußte ihn dringend finden. Ich
hatte Angst um ihn.
     
    Der Nebel hatte den Flughafen von
Oakland fast vollständig eingehüllt. Über das nördliche Feld mit den Start- und
Landebahnen für Privatflugzeuge pfiff der Wind. Ein paar Geschäftsmaschinen
wurden aufgetankt, doch sonst war wenig los. Ich ging am Terminalgebäude
entlang zum Stellplatz für die kleineren Maschinen.
    Im Wind zerrten die Cessnas, Beechcrafts
und Pipers an den Ketten, mit denen sie festgezurrt waren. Die zitternden
Tragflächen knarrten und wirkten zerbrechlicher, als sie waren. Ich eilte
zwischen ihnen hindurch, bis ich Hys Citabria Decathlon genau an der Stelle
entdeckte, an der er sie am letzten Mittwoch morgen angetäut hatte. Auch wenn
sie nicht am selben Platz gestanden hätte, hätte ich sie doch sofort an der
blauen Silhouette einer Möwe erkannt, die sich über den weißen Hintergrund und
das Kennzeichen 77289 emporzuschwingen schien. Es war eine kleine Maschine, ein
kunstflugtauglicher Hochdecker mit zwei hintereinander angeordneten Sitzen. Hy
hatte mir einmal stolz erklärt, daß man mit ihr auch auf dem Kopf fliegen
konnte, aber mich hatte er gottlob noch nicht an dieser Erfahrung teilhaben
lassen.
    Als ich die Citabria erreicht hatte,
überkam mich ein Gefühl der Leere, und ich fing sogar an, ein wenig zu zittern.
Unbewußt hatte ich wohl gehofft, sie wäre verschwunden und man würde mir sagen,
Hy sei auf dem Weg zurück zum Tufa Lake. Dann hätte ich mir keine Sorgen mehr
machen müssen. Doch als ich sie jetzt da stehen sah, wurde mir der Ernst der
Lage erst richtig bewußt. Nun war ich sicher, daß Hys Verschwinden keineswegs
eine spielerische Herausforderung für meine Fähigkeiten als Ermittlerin sein
sollte.
    Als wir letzten Mittwoch morgen nach
einem Ausflug am Memorial-Day-Weekend in die White Mountains aus der Maschine
geklettert waren, hatte er gesagt, er wolle nur auftanken und gleich nach San
Diego weiterfliegen. Dort habe er eine Verabredung mit einem seiner vielen
namenlosen alten Kumpel, der ihm einen geschäftlichen Vorschlag machen wolle.
Wie es seine Art war, hatte Hy nicht die geringste Andeutung über die Art des
Vorschlags gemacht, noch wo ich ihn erreichen könnte. Er hatte bloß gesagt, er
gebe mir Bescheid, wenn die Sache zu einem Abschluß käme. Wahrscheinlich hätte
ich mir schon eher Sorgen machen sollen, weil er nicht angerufen hatte. Auf
eines — und das war das einzige — konnte ich mich bei Hy verlassen: Er meldete
sich regelmäßig.
    »Kann ich Ihnen helfen, Ma’am?« Ein
Vorfeldlotse, gegen die Kälte in eine Daunenjacke gepackt, kam um das Heck der
Citabria herum. Hy behauptete oft, ein Pilot könne einen Flughafen allein am
Aussehen seiner Vorfeldlotsen erkennen — in Burbank zum Beispiel glichen sie
alle Filmschauspielern, und dieser hier, das mußte ich zugeben, verbreitete mit
seinen ungeschnittenen Haaren und dem einzelnen Ring im
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