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Wölfe und Kojoten

Wölfe und Kojoten

Titel: Wölfe und Kojoten
Autoren: Marcia Muller
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japanisch-hawaiianischer Herkunft, und ihr exquisit hergerichtetes Quartier
im ersten Stock sprach Bände über ihr Heimweh nach den Pazifikinseln. Mit Pam
hatte ich schon manche Expeditionen zu Flohmärkten, Billigläden und
Antiquitätengeschäften unternommen.
    Warum, um alles in der Welt, machte
mich ein Treffen mit solchen Freunden so kleinmütig? Allerdings gab es da
tatsächlich noch zwei weitgehend unbekannte Größen...
    Rae fragte: »Shar, was hältst du von
Mike Tobias?«
    Es war, als hätte sie meine Gedanken
gelesen. Mike Tobias war eine dieser Unbekannten — ein erst kürzlich
eingetretener Gesellschafter. Er war im drogen- und kriminalitätsträchtigen
Sunnydale-Viertel aufgewachsen. Bevor er am Hastings-College Jura studieren
konnte, hatte er sich seinen kargen Lebensunterhalt als Sozialarbeiter
verdient. Diese beiden Fakten hatten ihn zu einem unermüdlichen Kämpfer
gemacht, und somit zu genau dem richtigen Mann, sich unserer bedürftigeren,
mittelloseren Klienten anzunehmen.
    »Ich weiß nicht«, sagte ich zu Rae.
»Ich mag ihn, und ich bewundere ihn, aber ich kann nicht sagen, daß ich ihn
wirklich kenne.«
    »Ich frage, weil diese ganze
Strukturthematik stärkeres Gewicht bekommen hat, seit Mike Gesellschafter ist.«
    »Ja, es kommt alles auf einmal, die
GmbH und die neuen Gesellschafter. Und obendrein noch Gloria an Bord.« Gloria
Escobars Hauptinteresse galt Fällen, in denen um ›Chancengleichheit‹ und
›Bürgerrechte‹ gestritten wurde. Über sie wußte ich noch weniger als über Mike,
weil sie kaum privat mit uns übrigen verkehrte.
    Das war ein weiterer Unterschied zu den
alten Zeiten: Früher konnte ich sicher sein, alle meine Kollegen gut zu kennen.
Viele von ihnen wohnten mietfrei im Haus als Ausgleich für die knappen
Gehälter, die eine Anwaltskanzlei für sozial schwache Klienten zahlen konnte.
Alle Angestellten waren stets willkommen bei den häufigen spontanen Essen, bei
denen einfach auf den Tisch kam, was die Vorräte hergaben, bei Parties und
Pokerrunden. Heute bezog jeder sein angemessenes Gehalt, und die wenigen, die
noch in den Räumen der Kooperative wohnten — Ted, Pam, Larry, Jack und Rae —,
zahlten dafür angemessene Mieten. Viele der jüngeren Mitarbeiter trennten
Arbeit und Privatleben ganz strikt, so daß die Teilnehmer an den auch weiterhin
stattfindenden spontanen Essen, Parties und Pokerrunden auf einen immer kleiner
werdenden Kern zusammenschmolzen.
    »Mike und Gloria scheinen ganz nett zu
sein«, sagte Rae, »aber ich kann mit beiden nicht recht warm werden. Ich habe
das Gefühl, daß alles, was nicht unmittelbar mit ihrer Arbeit zusammenhängt,
für sie absolut tabu ist. Und keiner von beiden besitzt auch nur das kleinste
Fünkchen Humor.«
    »Sie sind Kreuzritter, Rae. Leute mit
einem Missionsdrang glauben selten Grund zum Lachen zu haben.«
    »Also, wenn ich nicht manchmal Grund
zum Lachen fände, würde ich komplett verrückt. Sogar diese Geschichte mit
Willie hat bei genauem Hinsehen ihre komische Seite.«
    Ich stimmte ihr zu — was Willie und was
die Notwendigkeit des Lachens anging. Wenn ich die Fähigkeit verlöre, über die
Fußangeln und Fallgruben des Lebens zu lachen — ganz zu schweigen von meinen
eigenen Schwächen und Wichtigtuereien —, säße ich binnen weniger Wochen in der
Klapsmühle.
    Ted steckte den Kopf durch die Tür. »Du
bist an der Reihe, Shar.«
    »Danke.« Ich stand auf und folgte ihm,
dabei strich ich meinen langen roten Pullover über den Jeans glatt. Ich fühlte
mich wie ein Schulkind, das zum Direktor gerufen wird.
    Als ich die Tür zum Aufenthaltsraum
aufschob, flüsterte Ted mir zu: »Noli nothis permittere te terere.«
    Ich sah ihn an. »Wie bitte?«
    »Laß dich von den Bastarden nicht
unterkriegen.«
    Da saßen sie alle, und jeder hatte es
sich auf seine Art bequem gemacht. Hank hockte auf der Klavierbank, die
Ellbogen auf den Klavierdeckel gestützt. Pam fühlte sich wie stets auf dem
Fußboden am wohlsten und hatte sich neben dem aschegefüllten Kamin an die Wand
gelehnt. Larry war in den dicken Polstern eines Sessels versunken, die Füße auf
dem dazugehörigen Hocker. Auf dem Schoß hatte er eine Tüte Walnüsse und eine
große Keramikschüssel für die Schalen. Mike hatte sich am einen Ende des
braunen Sofas niedergelassen, Gloria am anderen.
    Ich schloß die Tür und sah mich nach
einer Sitzgelegenheit um. Nur zwischen Mike und Gloria war noch ein Platz. Aber
meine Position ausgerechnet zwischen den beiden
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