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Seuchenschiff

Seuchenschiff

Titel: Seuchenschiff
Autoren: Clive Cussler
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1
    Barentssee
Nördlich von Norwegen
29. April 1943
    Ein bleicher Vollmond stand so über dem Horizont, dass sein Licht vom eisigen Ozean glitzernd reflektiert wurde. Da der Winter dem Frühling noch nicht Platz gemacht hatte, musste die Sonne in diesem Jahr erst noch aufgehen. Stattdessen versteckte sie sich hinter der Erdkrümmung und war nicht mehr als eine schwach leuchtende Verheißung entlang der Linie, wo der Himmel auf das Meer traf, während der Planet um seine geneigte Achse rotierte. Es würde noch einen weiteren Monat dauern, ehe sie sich in voller Größe zeigte, und dann würde sie bis zum Herbst nicht mehr verschwinden. So sah der seltsame Tag- und Nachtrhythmus oberhalb des Polarkreises aus.
    Eigentlich sollten die in den extremen nördlichen Breitengraden gelegenen Gewässer der Barentssee die meiste Zeit des Jahres über gefroren und unpassierbar sein. Doch das Meer war mit warmem Wasser gesegnet, das vom Golfstrom aus den Tropen herangeführt wurde. Diese mächtige Strömung war es auch, die Schottland und die nördlichen Regionen Norwegens bewohnbar machte und die Barentssee selbst in den strengsten Wintern eisfrei und befahrbar hielt. Aus diesem Grund stellte sie den wichtigsten Transportweg für Kriegsmaterial dar, das von den unermüdlich produzierenden Fabriken Amerikas in die kampfbereite Sowjetunion befördert wurde. Und wie so viele ähnlich genutzte Seefahrtsrouten – der Ärmelkanal oder die Straße von Gibraltar zum Beispiel – stellte auch die Barentssee einen Engpass dar und war damit zu einem ergiebigen Jagdrevier für die Wolfsrudel der Kriegsmarine und der landgestützten Schnellboote, jener auf Blitzattacken spezialisierten Torpedoboote, geworden.
    Alles andere als willkürlich wurde der Einsatz von U-Booten mit der Weitsicht eines Schachgroßmeisters geplant, der über seine nächsten Züge entscheidet.
    Jede noch so kleine Information über die Schlagkraft, Geschwindigkeit und den Bestimmungsort von Schiffen, die den Nordatlantik befuhren, wurde gesammelt, um U-Boote in günstige Angriffspositionen zu bringen.
    Von Luftwaffenstützpunkten in Norwegen und Dänemark aus starteten regelmäßig Aufklärungsflugzeuge, suchten das Meer nach Handelsschiffkonvois ab und gaben deren Positionen per Funk an Marinekommandozentren weiter, damit sich U-Boote rechtzeitig auf die Lauer legen konnten. Während der ersten Kriegsjahre erfreuten sich die U-Boote einer nahezu umfassenden Vorherrschaft auf allen Meeren: unzählige Millionen Tonnen Fracht waren gnadenlos versenkt worden. Selbst unter dem massiven Schutz von Kreuzern und Zerstörern konnten die Alliierten nichts anderes tun, als sich damit abzufinden, dass sie für neunundneunzig Schiffe, die die Passage unversehrt durchliefen, mindestens eins als Verlust verbuchen mussten. Indem sie diesem Risiko immer wieder aufs Neue ausgesetzt wurde, zahlte die Handelsmarine einen ebenso hohen Preis an Gefallenen wie die Frontkampfverbände.
    Das sollte sich in dieser Nacht ändern.
    Die viermotorige Focke-Wulf Fw 200
Condor
war ein gewaltiges Flugzeug – dreiundzwanzig Meter lang mit einer Spannweite von fast vierunddreißig Metern. Vor dem Krieg als Passagierflugzeug für die Lufthansa konstruiert, wurde die Maschine schnell in den Militärdienst übernommen und sowohl als Transport- wie auch als Langstreckenaufklärungsflugzeug eingesetzt. Ihre Reichweite von zweieinhalbtausend Meilen gestattete der
Condor,
stundenlang in der Luft zu bleiben und weit vor der Küste nach Schiffen der Alliierten Ausschau zu halten.
    1941 häufig als Bomber eingesetzt und mit vier fünfhundert Pfund schweren Bomben unter ihren Tragflächen bestückt, hatte die
Condor
schwere Verluste hinnehmen müssen und wurde nun ausschließlich als Aufklärungsflugzeug eingesetzt, zumal sie auf Grund ihrer extremen Flughöhe außerhalb der Reichweite alliierter Flugabwehrkanonen operieren konnte.
    Der Pilot der Maschine, Franz Lichtermann, ärgerte sich über die eintönigen Stunden, die er damit verbringen musste, die endlosen Weiten des Meeres abzusuchen. Er sehnte sich danach, zu einem Jagdgeschwader zu gehören, echte Kampfeinsätze zu fliegen und nicht Tausende Fuß über eisigem Nichts herumzulungern, immer nur in der Hoffnung, Schiffe der Alliierten zu sichten, damit jemand anders sie versenken konnte. In der Basis achtete Lichtermann streng auf die Einhaltung militärischer Etikette und erwartete das Gleiche auch von seinen Männern. Wenn sie sich jedoch auf
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