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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht
Autoren: Catherine Coulter
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legt sie wieder auf die Matratze. Er tritt auf die Gestalt zu und sagt, »Paul, ich bin gerade angekommen. Hab soeben mit Jilly geredet.«
    Paul. Er ist hier in meinem Zimmer. Ich verstehe nicht, was er zu Ford sagt, aber aus Fords langem Schweigen schließe ich, dass es eine ganze Menge ist. Er und Ford treten ein wenig beiseite, so dass ich nun nicht einmal mehr Ford verstehen kann. Mehr als alles andere wünsche ich mir, dass Paul verschwindet, aber das tut er nicht. Was sagt er bloß zu Ford? Ich will meinen Bruder wieder-haben. Er ist meine einzige Verbindung zur Außenwelt, meine Rettungsleine.
    Nach einer Weile gebe ich auf und schlafe ein. Mein letzter Gedanke ist: Hoffentlich lässt Ford mich hier nicht allein, hoffentlich kommt er wieder zu mir zurück. Es tut mir herzlich Leid um meinen geliebten Porsche, der nun auf dem Meeresgrund liegt, als Futter für die Fische.
    Ich stellte den Ford Taurus auf einem der sechs leeren Gästeparkplätze vor dem »Buttercup B&B« ab, ein wunderlicher Name für das hässliche, einem Dracula-ähnlichen viktorianischen Herrenhaus, das sich fast an den Rand der Klippen zu krallen schien. Eine dicke Steinwand, nicht mehr als sechs Meter vom Haus entfernt, schloss das Grundstück von den Klippen ab, die an dieser Stelle gut zwölf Meter steil bis zu einem schmalen Stück felsigen Strands hin abfielen.
    Genauso wunderlich war der Name der Hauptstraße von Edgerton - Fifth Avenue. Als ich diesen Namen bei meinem ersten und einzigen Besuch hier hörte, musste ich mir den Bauch halten vor Lachen. Fifth Avenue, dazu vier beiderseits parallel verlaufende Straßen, die an den Klippen endeten und von weiter auseinander liegenden nordsüdlich verlaufenden Straßen durchschnitten wurden.
    So weit ich sehen konnte, hatte sich nicht viel verändert.
    Kleine Häuschen aus den Zwanzigerjahren standen wie Pastellschächtelchen an der Fifth Avenue aufgereiht. Dazwischen gab es Häuser im Bungalow-Stil der Sechziger, von größeren Gartengrundstücken umgeben. Weiter oben, an den zerklüfteten Abhängen und auch in den flachen Seitentälern, die sich zum Meer hin öffneten, prangten moderne kalifornische Villen mit Glas- und Holzfassaden. Doch auch aus den dichten kleinen Wäldchen aus
    Fichten, Zedern und Schierlingstannen blitzten hie und da noch kleine Häuschen und Cottages heraus.
    Ich betrat das »Buttercup B&B«, und eine dürre Dame mit einem unübersehbaren schwarzen Oberlippenbärtchen teilte mir mit, es wäre alles belegt. Ich dachte an all die leeren Parkplätze draußen und sah, dass die Pension absolut ausgestorben wirkte. »Ganz schön was los zurzeit«, stellte ich leicht spöttisch der Frau gegenüber fest, die hinter dem großen, glänzenden Mahagonitresen stand und mich argwöhnisch und dickköpfig musterte.
    »Wir haben einen Kongress in der Stadt«, erwiderte sie mit einem rosaroten Gesicht und studierte geflissentlich die Tapete mit den großen viktorianischen Rosen über meiner linken Schulter.
    »Ein Kongress? Hier in Edgerton? Vielleicht der Rose Bowl?«
    »O nein, es handelt sich nicht um Floristen, sondern, na ja, um Zahnärzte, ja genau, Zahnärzte aus allen Teilen des Landes. Tut mir Leid, Sir.«
    Wenn das die Hochsaison sein soll, fragte ich mich auf dem Weg zurück zum Auto, wie wird es dann erst in der Nebensaison aussehen? Wieso hatte mir die Frau kein Zimmer geben wollen? Hatte es sich etwa schon herumgesprochen, dass ein FBI-Beamter in der Stadt war? Wollte niemand einen Bullen bei sich aufnehmen? Also mir schien es, dass man einen vertrauenswürdigeren Gast als mich gar nicht haben konnte.
    Ich bog an der Fifth Avenue links ab und fuhr in nördlicher Richtung die Liverpool Street entlang, eine steile, kurvenreiche Straße, die gute zehn Meilen parallel zur 101 verlief, um dann nach Osten zu schwenken und sich wieder mit dem Highway zu vereinen. Auch an dieser Straße gab es vereinzelte, weit auseinander liegende Häuser, die meisten davon diskret zwischen Bäumen versteckt. An einer besonders hübschen Stelle, am Fuß einer kleinen bewaldeten Anhöhe, etwa fünfzig Meter von den Klippen entfernt, lag ein großes dunkelrotes Backsteinhaus. Nur ein schmaler Zufahrtsweg führte durch das dichte Föhren-und Pinienwäldchen, das das Haus fast vollständig umgab. An der der Küste zugewandten Seite lehnten sich die Bäume krumm und vom Wind verkrüppelt landeinwärts.
    Es war Liverpool Street Nummer zwölf, Paul und Jillys Haus. Es sah nicht älter aus als
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