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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht
Autoren: Catherine Coulter
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geheult hätte wie ein Schlosshund, beugte ich mich vor und zog Sherlock an meine gesunde Schulter. Ein Spinnenärmchen schlang sich um meinen Hals. Ich merkte, wie mir die Tränen kamen, aber ich beherrschte mich eisern. Das wäre mir zu peinlich gewesen, selbst wenn die beiden keiner Menschenseele was verraten hätten. Nein, ich drückte sie einfach nur an mich, fühlte, wie ihr weiches Haar mich an der Nase kitzelte. Ich warf Savich einen Blick zu. Die beiden waren jetzt anderthalb Jahre verheiratet. Ich war Sherlocks Trauzeuge gewesen. Savich war bekannt und beliebt beim FBI. Er und Sherlock arbeiteten beide in der Abteilung für gezielte Täterermittlung. Savich war der Abteilungsleiter, hatte die Abteilung selbst vor gut drei Jahren gegründet. Es gelang mir allmählich, mich wieder in den Griff zu bekommen. »Da hast du eine besonders Gute erwischt«, bemerkte ich heiser zu Savich.
    »O ja, abgesehen von allem anderen hat sie mir den besten kleinen Jungen in ganz Washington geschenkt. Du hast Sean nicht mehr gesehen, seit er einen Monat alt war, Mac. Zeit, dass du mal wieder vorbeischaust. Er ist jetzt schon fast fünf Monate.«
    »Das werde ich nachholen, sobald ich kann.«
    »Tu das. He, Sherlock, mit dir alles in Ordnung? Keine Sorge um Mac. Er wird nach Oregon fliegen und dort nach dem Rechten sehen. Wir sind hier, falls er Hilfe braucht. Nur einen kleinen Fünf-Stunden-Flug entfernt.«
    »Mac, bist du sicher, dass du schon wieder in den Sattel kannst? Du siehst noch immer reichlich angeschlagen aus. Wie wär’s, wenn du für ein paar Tage zu uns kämst, bevor du aufbrichst? Wir verfrachten dich in das Zimmer neben Sean. Zu schade allerdings, dass du nicht stillen kannst. Das würde uns wenigstens für die Mühen, die wir mit dir hätten, entschädigen.«
    Am Ende blieb ich dann doch noch anderthalb Tage länger im Krankenhaus, bis ich es einfach nicht mehr aushielt. Ich telefonierte zweimal täglich mit Paul. An Jillys Zustand hatte sich nichts geändert. Die Ärzte sagten nach wie vor, dass sie nichts tun könnten und man einfach abwarten müsse. Kevin und seine Jungen befanden sich in Deutschland und meine Schwester Gwen, eine Einkäuferin für Macy’s, in Florida. Ich versprach ihnen, sie auf dem Laufenden zu halten.
    Am Freitag nahm ich dann schließlich vom Washington-Dulles Airport einen Frühflug nach Westen. Nach der Ankunft gelang es mir, ohne größere Schwierigkeiten einen Mietwagen, einen hellblauen Ford Taurus, zu kriegen - meiner Erfahrung nach durchaus nicht selbstverständlich.
    Es war ein wunderschöner Tag, klar und sonnig, kein Wölkchen am Himmel, milde dreiundzwanzig Grad und eine leichte Brise. Ich mochte die Westküste schon immer, vor allem Oregon mit seinen rauen, zerklüfteten Bergen und tiefen Schluchten, in die sich tosende Wasserfälle ergossen. Und ich mochte das Meer, das in Oregon an eine über dreihundert Meilen lange, meist wild zerklüftete Küstenstrecke brandete.
    Ich ließ mir Zeit, denn ich kannte meine Grenzen und wollte mich nicht so weit treiben, dass ich drohte, jeden Moment umzukippen. Bei einem Wendy’s in Tufton, einem kleinen Städtchen nahe der Küste, legte ich einen kurzen Zwischenstopp ein. Anderthalb Stunden später erreichte ich das Hinweisschild nach Edgerton, das vom Highway 101 abzweigte. Es gab nur diese eine Abzweigung, 101 W, eine schmale Teerstraße, die über vier Meilen bis zur Küste führte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Städtchen, die von der Küstenautobahn durchschnitten wurden, war Edgerton diesem Schicksal entronnen, da man an dieser Stelle beschlossen hatte, die Straße mehr ins Landesinnere zu verlegen. Einige wenige Schilder an der Straße kündigten drei Frühstückspensionen an. Das Schild für das BUTTERCUP B&B war das größte davon. Es hatte die Form einer psychedelischen Blume, gelb-lila und zeigte eine Art gotisches Dracula-Gemäuer, trostlos und unheimlich. Wenn ich mich recht erinnerte, hatte Paul mir einmal erzählt, dass die Bewohner von Edgerton es das »Psycho-B&B« nannten. Dann gab es noch ein kleineres Schild eines bescheidenen Speiselokals namens Edwardian, das von sich behauptete, die beste englische Küche zu servieren, in meinen Augen ein Widerspruch in sich, hatte ich doch während meines einjährigen Studiums an der London School of Economics, der Schule für Wirtschaftswissenschaft, so meine Erfahrungen mit dem britischen Fraß gemacht.
    Ich erinnerte mich, dass es früher einmal ein kleines
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