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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht
Autoren: Catherine Coulter
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Weile her«, erklärte ich und leckte mir den Bierschaum von den Lippen. »Ich konnte einfach nicht anders. Jetzt geht’s mir schon viel besser.« Ich stieß einen zutiefst dankbaren Seufzer aus und nahm einen kleineren Schluck, da mir in diesem Moment klar wurde, dass sie mir wahrscheinlich kein Zweites spendieren würde. Wenigstens war der Alptraum jetzt weit weg, irgendwo im Hintergrund und saß mir nicht länger im Nacken wie ein Schachtelteufel. Ich hatte noch etwa eine Vierteldose. Ich stellte die Büchse auf meinem Bauch ab.
    Midge trat näher und prüfte meinen Puls.
    »Mein Nachbar, Mr. Kowalski, gießt meine Pflanzen, wenn ich dienstlich weg bin - oder wie jetzt im Krankenhaus. Und er putzt auch ein bisschen. Er war früher mal Klempner. Jetzt ist der alte Knabe längst im Ruhestand, aber geistig noch voll auf Zack. James Quinlan - er ist auch ein FBI-Agent - singt seinen Usambaraveilchen immer was vor. Gesündere Pflanzen haben Sie nie gesehen. Seine Frau fragt sich schon, ob sie nicht eines Morgens mit ’nem Blumentopf auf dem Nachbarkopfkissen aufwacht. Ach, Scheiße, Midge, ich will heim.«
    Sie legte sanft ihre Hand an meine Wange. »Ich weiß, Mac. Bald. Ihr Puls ist prima. Und jetzt will ich noch Ihren Blutdruck überprüfen.« Sie sagte mir nicht, wie der war, aber sie summte leise vor sich hin, etwas von Verdi, glaube ich, also war er wohl in Ordnung. »Sie müssen jetzt wieder schlafen, Mac. Alles klar, nach dem Bier? Hat’s Ihr Magen gut verkraftet?«
    Ich nahm den letzten Schluck, unterdrückte einen Rülpser und grinste sie an wie ein Honigkuchenpferd. »Mir geht’s prima. Ich bin Ihnen was schuldig, Midge. Ehrlich.«
    »Werd’s nicht vergessen, keine Sorge. He, wie wär’s, wenn ich Mrs. Luther für Sie hole?«
    Ich wimmerte, und sie ging, aber nicht bevor sie mir noch mal grinsend von der Tür aus zugewinkt hatte. Im nächsten Moment schoss mir Jilly wieder durch den Kopf.
    »Finde dich damit ab, Mac«, sagte ich leise in die Stille des Zimmers hinein und blickte dabei zum Fenster, das auf den nun nahezu leeren Parkplatz hinausging. »Also gut. Lassen wir die Katze aus dem Sack. War das ein Traum oder eine Art Prophezeiung? Ist Jilly in irgendwelchen Schwierigkeiten?«
    Nein, das war Blödsinn. Und ich erkannte Blödsinn, wenn ich ihn bemerkte.
    Ich konnte nicht wieder einschlafen. Weil ich Schiss hatte, um die Wahrheit zu sagen. Ich wünschte, ich hätte noch ein Bier. Midge schaute um vier Uhr noch mal rein, runzelte die Stirn und verpasste mir eine Schlaftablette.
    Nun, zumindest träumte ich nichts in den drei Stunden, die man mich schlafen ließ, bis der Kerl mit dem Blutwägelchen auftauchte, mich an der verletzten Schulter rüttelte, um mich zu wecken und mir das obligatorische Blutopfer abzunehmen. Dabei quasselte er nonstop, erzählte mir, dass er kurz vorm Millennium, wenn alle Computer kaputtgingen, nach Montana ziehen und sich mit ’nem Generator und ’ner Knarre verschanzen würde. Danach klatschte er mir, immer noch redend, ein Pflaster auf den Einstich und zog pfeifend mit seinem Folterwägelchen von dannen. Er hieß Ted, und ich glaube, er war das, was die Psychologen einen Gelegenheitssadisten nennen.
    Als es zehn Uhr wurde, hielt ich es nicht länger aus. Ich musste Gewissheit haben. Ich wählte Jillys Nummer in Edgerton, Oregon. Ihr Mann Paul nahm schon nach dem zweiten Klingeln ab.
    »Jilly«, sagte ich mit zitternder Stimme. »Paul, wie geht’s Jilly?«
    Stille.
    »Paul?«
    Ich hörte einen zittrigen Atemzug. Dann: »Sie liegt im Koma, Mac.«
    Ich verspürte ein ganz komisches Gefühl, als würde sich ein Paket, dessen Inhalt ich längst kannte, langsam öffnen. Das hatte ich zwar nicht gewollt, aber überraschend kam es nicht. Bang erkundigte ich mich: »Wird sie’s überleben?«
    Ich konnte hören, wie Paul mit der Telefonschnur herumspielte, wahrscheinlich wand er sie sich um den Finger. Schließlich sagte er mit ausdrucksloser Stimme: »Keiner will was sagen, Mac. Man hat sie geröntgt und auch ein MR-Bild gemacht. Die Ärzte sagen, ihr Gehirn hätte bis auf ein paar winzige Gerinnsel und ein paar Schwellungen fast keine Schäden davongetragen, jedenfalls nichts, das schwer wiegend genug wäre, um ihr Koma zu erklären. Sie wissen’s einfach nicht. Man hofft, dass sie bald wieder aufwacht. Wir müssen einfach abwarten, mehr kann ich dir auch nicht sagen. Zuerst wirst du irgendwo in der Wüste in die Luft gepustet und jetzt Jilly und dieser lächerliche
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