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Wo niemand dich sieht

Titel: Wo niemand dich sieht
Autoren: Catherine Coulter
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doch nicht richtig. Wenn ich doch bloß verstehen könnte, was sie reden. Das wäre echt der Hit.
    Endlich bin ich allein. Vollständig allein. Laura ist nicht mehr da. Laura hat, so bete ich inständig, ihre Rache bekommen, als ich kreischend wie eine Irre über die Klippe gerast bin. Wenn sie mit mir zurückgekommen wäre, ich glaube, ich hätte einfach auf gehört zu atmen.
    Leute kommen und gehen. Sie interessieren mich nicht. Ich nehme an, dass man mich untersucht und irgendwelche Sachen mit mir macht, aber das alles spielt irgendwie überhaupt keine Rolle.
    Und dann ändert sich alles schlagartig. Mein Bruder Ford kommt durch die Tür, und ich erkenne ihn klar und deutlich. Er ist real, er ist kein Schatten, und sein Gesicht ist so voller Angst, dass ich alles dafür geben würde, ihn beruhigen zu können, aber natürlich kann ich das nicht. Er ist groß und gut aussehend, mein kleiner Bruder, sogar noch attraktiver als unser Vater, den Mutter immer liebevoll als Ladykiller bezeichnet hat. Mutter und Vater waren tot, oder?
    Ford sieht irgendwie nicht wie er selbst aus. Nicht ganz so souverän, nicht ganz so beherrscht, so eindrucksvoll. War er nicht kürzlich verletzt worden? Ich weiß es nicht, kann überhaupt nur schwer denken. Aber Ford ist da, dessen bin ich mir sicher. Was ich ebenfalls sicher weiß, ist, dass ich die Einzige bin, die ihn Ford nennt und nicht Mac. Für mich war er nie Mac.
    Wie ist das möglich? Er ist da und ich kann ihn sehen, alle anderen dagegen sind nur schemenhafte Gestalten.
    Wenn ich hätte schreien können, um mich ihm bemerkbar zu machen, dann hätte ich es in diesem Augenblick getan. Aber ich kann mich nicht rühren, kann nichts fühlen, außer eine stille Freude darüber, dass mein Bruder gekommen ist, wenn ich ihn am meisten brauche.
    Als ich seine Stimme höre, laut und deutlich, nah an meinem Ohr, ist das ein neuerlicher Schock für mich. »Jilly, mein Gott, Jilly, ich halte das nicht aus. Was ist bloß passiert?«
    Ich höre seine Worte deutlich, verstehe sie deutlich. Noch schockierter bin ich, als ich seine Hand fühle - richtig fühle - als er eine von meinen ergreift, ich bin mir nicht sicher, welche. Seine Wärme durchströmt mich, eine Wärme, die meinen Körper nicht mehr verlässt. Erstaunlich. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Warum ist Ford so deutlich und sonst niemand? Warum gerade er?
    »Ich weiß, du kannst mir nicht antworten, Jilly, aber vielleicht kannst du mich ja irgendwo tief drinnen hören. «
    Ja, will ich ihm sagen, ja, ich kann dich hören. Ich liebe seine Stimme, eine tiefe, volltönende Stimme, eine Stimme, die einen unweigerlich in ihren Bann zieht. Ich glaube, ich habe ihm einmal gesagt, wie prickelnd, wie angenehm und wärmend ich seine Stimme finde. Er hat geantwortet, dass das seine FBl-Verhörstimme wäre, aber das ist Unsinn. Er hat schon immer diese intime, beruhigende Stimme gehabt.
    Er setzt sich zu mir, redet dabei weiter beruhigend auf mich ein, mit dieser tiefen, tröstlichen Stimme, lässt auch meine Hand nicht los, und die Wärme seiner Hand macht mich ganz schwindlig. Ich wünsche mir sehnlichst, seine Hand drücken zu können.
    »Ich war dabei, Jilly«, sagt er, und mir stockt der Atem.
    Was meint er damit?
    Dabei? Wo dabei?
    »Ich war in dieser Nacht, als du über die Klippe gerast bist, dabei. Hab mir fast in die Hosen gemacht, vor Angst. Bin im Krankenhaus aufgewacht, schwitzend wie ein Ochse, hatte eine solche Scheißangst. Ich dachte, ich geh drauf. Ja, ich bin mit dir über diese Klippe gegangen, Jilly. Zuerst dachte ich, ich wär mit dir gestorben, aber keiner von uns beiden ist gestorben. Dieser Polizist hat dich gerettet. Und jetzt muss ich rauskriegen, wie das geschehen konnte. Verflucht noch mal, ich wünschte, du könntest mich hören.«
    Ford hält inne, lässt mein Gesicht keine Sekunde aus den Augen, und ich wünsche mir mit jeder Faser meines Seins, ihm ein Zeichen geben zu können, irgendetwas, aber ich kann nicht. Ich liege nur da, wie ein lebloser Haufen, liege in diesem Krankenhausbett, das wahrscheinlich ziemlich unbequem ist, wenn ich es nur fühlen könnte. Ich fühle mich tot, nur mein Gehirn lebt noch und die Hand, die er hält.
    Was meint er damit, er wäre bei mir gewesen, als ich über die Klippe gerast bin? Das ist doch Blödsinn, obwohl mir eigentlich alles irgendwie keinen Sinn zu ergeben scheint.
    Eine weiße, schemenhafte Gestalt tritt in mein Gesichtsfeld. Ford tätschelt meine Hand und
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