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Wo ich zu Hause bin

Wo ich zu Hause bin

Titel: Wo ich zu Hause bin
Autoren: Anselm Gruen
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archaische Euphonie des vorweltlichen Innen, es aktiviert die Erinnerung an eine euphorische Enstase, die uns wie ein Nachleuchten vom Paradies her begleitet« 31 . Die westliche Musik hat beides in sich verkörpert: »Ausfahrt mit großem Orchester« und »Heimfahrten ins Innerste, Fernste – zurück auf die Inseln der Seligen« 32 .
    Doch besser als die Musiktheorie kann der Mythos ausdrücken, wie die Musik uns mit der Heimat in Berührung bringt. Da gibt es die indianische Erzählung von Milomaki und dem Ursprung der Musik: Aus der Heimat der Sonne kam der Knabe Milomaki, der so wunderbar singen konnte, dass alle fasziniert waren. Doch als die Leute dann wieder daheim ihre Fische aßen, fielen sie tot um. Daher verbrannten sie Milomaki, der auch im Feuer noch sein wunderbares Lied sang. Aus der Asche Milomakis entstand eine Palme, aus der die Menschen dann Flöten formten und auf ihnen die wunderbaren Lieder Milomakis bliesen. Nur die Frauen und Kinder durften die Flöten nicht sehen, sonst mussten sie sterben. Die Musik kündet uns von der Heimat der Sonne, aus der Milomaki kommt. Aber wer sichnoch ganz dem Irdischen zuwenden will, für den ist die Musik tödlich. Nur der vermag sie zu hören, der mitten in dieser Welt in der Welt der Sonne, der Liebe, in der Welt Gottes zu Hause ist und darin seine wahre Heimat findet.
    Wenn wir diesen Mythos meditieren, so sagt er uns, dass die Musik aus der Heimat der Seele kommt, aus dem Reich der Sonne, aus dem Reich Gottes, und uns an diese Heimat erinnert. Aber die Musik lullt uns nicht einfach in eine regressive Geborgenheit ein. Dann würden wir sterben, dann würde unser Leben unfruchtbar. In der Musik steckt auch eine Sprengkraft, die das rein Irdische aufbricht und die uns nach vorne schauen lässt. Was Bloch mit der Hoffnung oder dem » Novum – dem Neuen« ausdrückt, das klingt in der Musik an. Die Musik sprengt die Grenzen des Irdischen, um uns auf unsere wahre Heimat zu verweisen. Und sie hilft uns, mitten in der Entfremdung unseres Lebens im Hören uns geborgen und daheim zu fühlen. Es ist eine Heimat, die noch aussteht und die uns auch antreibt, hier auf Erden für die Menschen, die sich verloren haben, Heimat zu schaffen.
    IMPULS
    Was sind deine Lieblingslieder, die du als Kind gesungen hast? Welche Kirchenlieder haben dich berührt? Vermutlich hast du nicht alles verstanden, was du gesungen hast. Aber irgendetwas hat dich fasziniert. Was war das? An welche Heimatlieder erinnerst du dich, die ihr in der Schule oder am Lagerfeuer gesungen habt? Was lösen diese Lieder heute in dir aus, wenn du sie singst oder hörst? Was geschieht in dir, wenn du sie mit anderen Menschen zusammen singst? Welche Qualität hat die Heimat, die in diesen Liedern ertönt? Kennst du auch klassische Musik oder irgendwelche Schlager – der Beatles oder anderer Gruppen –, die lange in dir als Ohrwurm nachgeklungen haben? Welche Gefühle und Ahnungen haben sie in dir hervorgerufen?

Heimat in der mobilen Gesellschaft

F rüher war Heimat an Haus und Hof gebunden. Sie hatte ihre Verwurzelung in dem Dorf, in der Stadt, in der man aufgewachsen ist. Man verband Heimat mit den Gerüchen, die man einatmete, mit der Atmosphäre der Landschaft und mit dem Dialekt, den man dort sprach. Heute gibt es immer mehr Menschen, die ihren Wohnsitz ständig ändern. Man kann kaum sagen, wo sie ihre Heimat sehen, in ihrem Geburtsort oder an einem der vielen Orte, an dem sie längere Zeit gewohnt haben. Gerade weil die Welt immer mobiler wird, weil wir immer öfter den Wohnsitz wechseln, spielt für viele Menschen die Sehnsucht nach Heimat wieder eine größere Rolle. Aber Heimat wird anders definiert. Man versteht sie mehr als Zusammengehörigkeitsgefühl mit einer Gruppe von Menschen. Oft verbinden wir Heimat mit den Freunden, die wir an einem Ort gefunden haben und mit denen uns die Freundschaft über die vielen Ortswechsel hinweg verbindet. Heimat ist also mehr eine soziale Gruppe als ein bestimmter Ort. Heimat ist dort, wo man sich verstanden fühlt, wo man sein darf, wie man ist. Nach Karl Jaspers ist Heimat dort, »wo ich verstehe und verstanden werde«. Nicht nur wo ich verstanden werde, sondern auch wo ich das, was dort ist, verstehe. Dort, wo ich das Leben, die Menschen verstehe, kann ich zu Hause sein. Dort kann ich stehen bleiben. Dort habe ich Stehvermögen. Heimat ist dort, wo ich liebe und geliebt werde, wo ich nicht nur die Menschen, sondern auch den Ort liebe und wo ich sowohl von
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