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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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überdimensionalen Werbetafeln von Coca-Cola. Nie zuvor bin ich in einer Stadt gewesen, die sich den Versuchungen der amerikanischen Kultur so erfolgreich widersetzt hat. Es war eine durch und durch europäische Stadt. Mit beklommenem Herzen wurde mir klar, daß dies das Europa meiner Kinderträume war.

    Es ist schwer zu sagen, was aus Bulgarien werden wird. Ein paar Wochen nach meinem Besuch haben die Bürger des Landes in einem Moment geistiger Umnachtung wieder ein kommunistisches Regime gewählt – das einzige Land Osteuropas, das freiwillig an der alten Regierungsform festhält.
    Das war 1990, in jenem Jahr, als der Kommunismus in Europa zusammenbrach. Viel ist darüber geschrieben worden, und bei alledem habe ich ein paar Worte des Bedauerns vermißt, daß der Fall des Eisernen Vorhangs zugleich das Ende eines noblen Experiments war. Ich weiß, daß der Kommunismus nie funktioniert hat, auch ich hätte sicher nicht unter ihm leben wollen, aber es ist doch bedauerlich, daß das einzige Wirtschaftssystem, das zu funktionieren scheint, auf Eigennutz und Habgier beruht. Auch in Bulgarien wird sich der Kommunismus nicht ewig halten. Kein Volk wird zu einer Regierung stehen, die es nicht ernähren kann. Wenn ich in fünf Jahren wieder nach Sofia komme, ich bin sicher, dann wimmelt es auch dort von McDonald’s und Laura Ashley Filialen, BMWs werden die Straßen verstopfen, und die Menschen werden viel glücklicher sein. Und das ist auch nur zu verständlich, aber ich bin froh, daß ich die Stadt gesehen habe, bevor diese Zeit anbricht. 

    Istanbul

    Katz und ich sind mit dem Orientexpreß von Sofia nach Istanbul gefahren. Ich hatte mir die Fahrt so romantisch vorgestellt. In meiner Phantasie sah ich Diener mit Turbanen, die uns Tassen mit süßem Kaffee servierten. Doch die Wirklichkeit sah anders aus. Der Zug war alt, abgenutzt, überfüllt und langsam, es war heiß und stickig, und es stank. 1973 war der Orientexpreß nur noch ein Name auf einem rostigen Stück Metall an der Seite jedes altersschwachen Zuges zwischen Belgrad und Istanbul. Ein paar Jahre später wurde der Betrieb eingestellt. Als wir in Sofia abfuhren, hatten wir das Abteil noch für uns allein, doch schon zwei Stationen später wurde abrupt die Tür aufgerissen, und eine Großfamilie, bestehend aus lauter fetten Menschen, zwängte sich hinein, beladen mit Pappkoffern und Einkaufsnetzen voll übelriechender Lebensmittel. Die Leute sahen aus wie die leibhaftige Warnung vor den Folgen der Inzucht. Sie ließen sich auf die Sitze fallen, drängten Katz und mich in gegenüberliegende Ecken und fielen sofort über ihre Freßpakete her. Servietten mit kleinen toten Fischen, Brocken trockenen Brotes und weichgekochte Eier wurden herumgereicht, gefolgt von triefendem Weißkäse, dessen Geruch mich daran erinnerte, wie wir vor Jahren einmal aus den Sommerferien nach Hause kamen und feststellen mußten, daß meine Mutter versehentlich die Katze während der drei heißesten Wochen des Jahres im Besenschrank eingesperrt hatte. Die Leute schmatzten beim Essen und wischten sich ihre Wurstfinger an ihren Hemden ab, bevor einer nach dem anderen in ein tiefes, sabberndes Koma sank. Im Schlaf blähten sich ihre Körper auf, so daß Katz und ich mehr und mehr in unsere jeweiligen Ecken gedrängt und schließlich wie ein Häufchen Elend an die Wand gequetscht wurden. Und das sollten wir zweiundzwanzig Stunden lang ertragen. Zu diesem Zeitpunkt waren Katz und ich fast vier Monate unterwegs, und jeder hatte den anderen gründlich satt. Tagelang wechselten wir entweder kein Wort, oder wir lagen uns dauernd in den Haaren. Wenn ich mich recht entsinne, sprachen wir an jenem Tag nicht miteinander, doch mitten in der Nacht, während der Zug träge durch die struppige Leere im Westen der Türkei zockelte, riß Katz mich aus einem leichten, unruhigen Schlaf. Er tippte mir auf die Schulter und sagte in vorwurfsvollem Ton: »Ist das Hundescheiße da an deiner Schuhsohle?«
    Ich richtete mich auf. »Was?«
    »Ist das da Hundescheiße an deiner Schuhsohle?«
    »Weiß ich nicht. Der Laborbericht liegt noch nicht vor«, erwiderte, ich trocken.
    »Im Ernst, ist das Hundescheiße?«
    »Woher soll ich das wissen?«
    Katz beugte sich vor, beäugte meinen Schuh und schnupperte vorsichtig daran. »Es ist Hundescheiße«, verkündete er mit einer Spur von Genugtuung.
    »Na, dann behalt’s für dich, sonst wollen die alle was.«
    »Kannste das nicht abwaschen? Das ist ja
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