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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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dem ich CNN empfangen konnte. Feige wie ich war, nahm ich meine Mahlzeiten immer im Hotel ein. Ich hatte lange nach einem halbwegs vertrauenerweckenden Restaurant mit einheimischer Küche gesucht, aber keins gefunden. Sofias Kneipen und Restaurants sind alles andere als einladend – einfach, schwach beleuchtet, an den Wänden hängt höchstens ein Werbekalender, und jede Oberfläche ist mit Resopal beschichtet. Einmal habe ich mich in ein Restaurant in der Nähe des Juzen Parks gewagt. Da ich rein gar nichts mit der kyrillischen Speisekarte anzufangen wußte, warf ich einen Blick auf die Teller der anderen Gäste, um beim Bestellen auf ein Gericht zeigen zu können. Aber auf den Tellern ringsum häufte sich nichts als Haferschleim und wäßriges Gemüse, so daß ich auf dem schnellsten Wege ins Hotel zurück eilte, wo eine Speisekarte in englischer Sprache und eine ausgezeichnete Küche auf mich warteten.
    Doch für diesen Luxus zahlte ich zweimal täglich mit Gewissensbissen. Jedesmal wenn ich im Sheraton aß, wurde mir schmerzlich bewußt, daß ich eine weitaus bessere Kost vorgesetzt bekam als neun Millionen Bulgaren. Diese wirtschaftliche Apartheid ist mir verhaßt, wenn sie auch unwiderstehlich war. Wie kann ein Land seinen eigenen Bürgern untersagen, Orte wie diesen zu betreten? Ein Bulgare, der auf wundersame Weise durch Sparsamkeit und Unternehmungsgeist zu genügend Geld gekommen war, durfte in zwei Restaurants des Hotels verkehren, im Wiener Café und im Melnik Grill. Deren Eingänge befanden sich allerdings in einer Seitenstraße und waren vom Hotel aus nur zu erreichen, indem man durch den Haupteingang auf die Straße trat und um die nächste Ecke bog. Das Hotel selbst war für den Normalbürger tabu. Hunderte von Menschen gingen tagtäglich daran vorbei und mußten sich fragen, wie es darin wohl aussieht. Tja, es sieht schon toll aus. Es bietet ein Leben in Reichtum und Komfort, wie es sich ein Bulgare wahrscheinlich nicht einmal vorzustellen vermag: eine piekfeine Bar, an der man Cocktails schlürfen kann, Restaurants, in denen es Sachen zu essen gibt, die man anderswo in Bulgarien seit Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen hat, ein Geschäft, das Schokolade, Brandy, Zigaretten und andere Genußmittel verkauft, die für den Durchschnittsbürger Bulgariens so unerreichbar sind, daß er nicht einmal davon zu träumen wagt. Jedesmal wenn ich aus dem Hotel trat, wunderte ich mich, daß ich von niemandem verprügelt wurde. – Ich hätte mich nämlich selbst gern verprügelt, und das, obwohl ich weiß, was für ein feiner Kerl ich bin. – Alle Leute waren nett zu mir. Immer wieder kam jemand auf mich zu und fragte, ob ich Geld tauschen wolle, aber das wollte ich nicht, ich konnte nicht. Es war verboten, und außerdem wollte ich nicht mehr bulgarisches Geld als ich schon hatte, denn dafür gab es nichts zu kaufen. Warum sollte ich zwei Stunden Schlange stehen, um mit Lewa eine Schachtel Zigaretten zu kaufen, wenn ich in meinem Hotel innerhalb von zehn Sekunden bessere Zigaretten für weniger Geld bekam? »Es tut mir wirklich leid«, sagte ich wohl zwanzig Mal am Tag, und sie schienen zu verstehen.
    Mit jedem Tag in Sofia wuchs in mir das Bedürfnis, Geld auszugeben, aber es gab nichts, wofür ich es hätte ausgeben können, absolut nichts. An einem Sonntagmorgen kam ich durch einen Park, in dem Künstler ihre Arbeiten zum Kauf anboten, und ich dachte:
    »Prima. Ich werde ein Bild kaufen.« Aber die Bilder waren scheußlich. Die meisten waren zwar technisch einwandfrei, aber die Motive waren grauenhaft: Sonnenuntergänge mit orangefarbenen und rosaroten Wolken und surreale, Salvador Dali nachempfundene Gemälde mit zerrinnenden Objekten. Es hatte den Anschein, als hätten die Künstler so sehr den Kontakt zur Welt verloren, daß sie nicht wußten, was sie malen sollten. je weiter man durch Sofias Straßen streift, desto angenehmer wird die Stadt. Ich unternahm zu Fuß
    Tagesausflüge in die hügeligen Bezirke südöstlich der Innenstadt. Dort gab es Wälder, Parks, Viertel mit stattlichen Wohnsiedlungen, ruhigen Straßen und einigen hübschen Häusern. Als ich über eine Fußgängerbrücke über den Fluß Slivnica zurück ins Stadtzentrum ging, fiel mir auf, wie schön Sofia eigentlich ist. Und mehr als das – es war die europäischste all der Städte, die ich gesehen hatte. Hier gab es keine modernen Einkaufszentren, keine riesigen Tankstellen, keine McDonald’s und Pizza Huts, keine
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