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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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Laib Brot aus einer Bäckerei kam, um sich sofort an die Schlange vor dem Metzger nebenan anzustellen. Und so geht das Tag für Tag. Nichts können sie kaufen, ohne Schlange stehen zu müssen. Was für ein Leben. 1973 sah das noch ganz anders aus. Damals waren die Läden voller Waren, aber niemand schien das Geld zu haben, um sie kaufen zu können. Nun hatte jeder bündelweise Geldscheine in der Hand, aber zu kaufen gab es nichts.
    Ich ging in ein Geschäft, vor dessen Tür sich keine geordnete Warteschlange gebildet hatte. Statt dessen herrschte ein unglaubliches Gedrängel, von dem ich mitgerissen wurde, so daß ich den Laden nicht ganz freiwillig betrat. Drinnen umringte eine Menschenmenge die einzige mit Waren gefüllte Vitrine. Die Leute schwenkten Geldscheine in den Händen und rangelten um die Aufmerksamkeit der Verkäufer. Ich zwängte mich durch die Menge, um herauszufinden, was die Ursache für den Tumult war. Es war eine armselige Sammlung von Krimskrams – ein paar Gewürzständer aus Plastik, zwanzig langstielige Bürsten, kleine gläserne Aschenbecher, ein Sortiment von Aluminiumtellern, die man im Westen gratis bekommt, wenn man etwas kauft, das im Ofen aufgewärmt werden muß. Offensichtlich wollten die Leute nichts Bestimmtes kaufen, sie waren froh, wenn sie überhaupt etwas ergatterten. Jedesmal wenn ich an der Vitôsa vor einem Schaufenster stehenblieb und in das undurchdringliche Dunkel im Inneren des Ladens blinzelte, bildete sich hinter mir ein kleiner Menschenauflauf. Die Leute blickten mir über die Schulter, um zu sehen, was ich in dem Laden entdeckt hatte. Doch es gab nichts zu entdecken. Ich kam an einem Elektrogeschäft vorbei, dessen Warenangebot aus drei russischen Hi-Fi-Anlagen bestand, zwei Stereogeräte und ein Monogerät (wann haben Sie zuletzt eine Mono-Hi-Fi-Anlage gesehen?). An jedem Apparat fehlten diverse Knöpfe, und keiner sah aus, als würde er auch nur fünf Minuten funktionieren. Ein anderes Geschäft verkaufte nichts weiter als zwei Sorten von Dosen – gelbe Dosen und grüne Dosen, die auf mehreren Regalen fein säuberlich zu Pyramiden gestapelt waren. Es war der einzige gutgefüllte Laden, den ich an diesem Tag zu sehen bekam. Ich habe keine Ahnung, was sich in den Dosen befand, ich kann nur vermuten, daß es sich um etwas ausgesprochen Scheußliches gehandelt haben muß, denn sonst wäre auch dieses Geschäft längst ausverkauft gewesen. Einen so deprimierenden Vormittag hatte ich seit Jahren nicht erlebt. Ich ging zum TSUM und rechnete mit dem Schlimmsten. Zu Recht. Ganze Abteilungen waren ausgeräumt, unter anderem meine geliebte Radio-und Fernsehabteilung. Das führende Kaufhaus des Landes konnte seinen Kunden nicht einen Fernseher anbieten, nicht ein Radio, nicht ein elektrisches Gerät. In einigen Abteilungen standen drei Verkäuferinnen um eine Kasse herum und hatten nichts weiter zu verkaufen als ein paar Geschirrtücher, während anderswo eine einzige verzweifelte Verkäuferin von Massen von Kunden bestürmt wurde, weil dort gerade eine begehrte Lieferung eingegangen war. Auf einem Ladentisch im dritten Stock stand ein großer, soeben eingetroffener Karton voller Socken – Hunderte und Aberhunderte von Socken, alle in einheitlichem Senfgelb, alle aus dünner Baumwolle, alle in einer Größe und zu einem Dutzend gebündelt –, und die Leute kauften, soviel sie tragen konnten. Vermutlich nimmt man, was man kriegen kann, und denkt erst später darüber nach, was man damit anfängt – ein Dutzend bekommt der Schwiegervater zu Weihnachten, ein Dutzend tauscht man gegen ein Stück Fleisch oder gibt es dem Nachbarn, weil er für einen Schlange gestanden hat. Den traurigsten Anblick bot die Spielzeugabteilung – ein Regal mit völlig gleichen, unsagbar jämmerlichen Teddybären aus synthetischer Wolle, zwei Dutzend völlig gleicher Plastiklaster mit verbogenen Rädern und vierzehn entweder verschrammten oder verbeulten Dreirädern aus Metall, die alle im gleichen Blauton gestrichen waren. In den oberen beiden Stockwerken des TSUM standen Kisten mit unidentifizierbarem Krimskrams aufgereiht. 
    Wer jemals eine Türklingel oder den Motor einer Waschmaschine auseinandergebaut und all die 150 Einzelteile wahllos um sich verstreut hat, der kann sich ungefähr vorstellen, wie es dort aussah – Kisten voller Federn, Zahnräder und anderen kleinen Metallteilen, in denen Hunderte von Menschen mit ernsten Gesichtern stöberten.
    Am vollsten war es in der
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