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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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innerhalb des Landes tauschen kann, bedeutete das, daß ich ohne Bargeld dastand. Vor dem Haupteingang weckte ich einen schlafenden Taxifahrer und fragte ihn, ob ich eine Fahrt in die Stadt in Dollar bezahlen könne. Das ist eigentlich strafbar, und ich fürchtete schon, er würde mich bei zwei Kerlen in langen Mänteln verpfeifen, doch er war nur allzu bereit, sich ein paar Devisen zu verdienen, und chauffierte mich für zehn Dollar in die fünfzehn Kilometer entfernte Stadt. Das Taxi, ein alter Moskvich, wurde durch eine Reihe von kleinen Explosionen angetrieben, die in Form von blauen Rauchwolken aus dem Auspuff austraten. Es ruckelte drei Meter vorwärts, blieb stehen und schleppte sich mit Hilfe eines Knalls nebst Rauchwolke weitere drei Meter dem Ziel entgegen. Außer uns war fast kein Auto auf den Straßen.
    Das Taxi brachte mich zum Sheraton am Lenin Platz, das bei weitem nobelste Hotel, in dem ich während dieser Reise abgestiegen war, und das einzige der Stadt, wie man mir versichert hatte. Bis vor einigen Jahren hieß es noch Hotel Balkan, doch dann hatte Sheraton es übernommen und von Grund auf renoviert. Auf den ersten Blick sah ich nichts als glänzenden Marmor und elegante Sofas. Ich war beeindruckt.
    Die junge Frau an der Rezeption erklärte mir das ziemlich verwirrende Währungssystem innerhalb des Hotels. In einigen der Restaurants, Bars und Geschäfte des Sheraton konnte man nur mit Devisen bezahlen, in anderen nur mit bulgarischen Lewa und in wieder anderen sowohl mit Devisen als auch mit Lewa. Ich verstand nur die Hälfte.
    Ich konnte es kaum erwarten, die Stadt wiederzusehen, und brach gleich zu einem Spaziergang auf. Erfreut stellte ich fest, daß vieles mir bekannt vorkam. An der anderen Seite des Platzes stand das große Lenin-Denkmal. Ihm gegenüber erhob sich das TSUM, so riesig, wie ich es in Erinnerung hatte, und offenbar noch immer in Betrieb. Und gleich um die Ecke lag der Place 9 Septemvri, ein mit goldenen Steinen gepflasterter Boulevard, der von der massigen Zentrale der Kommunistischen Partei beherrscht wurde – jenes Gebäude, das bald darauf von einer wütenden Menge gestürmt und niedergebrannt werden sollte. Ich schlenderte nun daran entlang und tauchte ein in die Dunkelheit der engen Straßen der Innenstadt. Sofia muß eine der dunkelsten Städte der Welt sein. Nur hin und wieder, wenn die Funken einer Straßenbahn die Straße erhellten, konnte ich die Umrisse der Häuser erkennen. Bis auf die matten Lichtkegel unter den weit auseinanderstehenden Laternen und dem schwachen Schimmer, der aus einigen wenigen Bars und Restaurants sickerte, war alles dunkel. Und dennoch herrschte auf den Straßen reges Treiben. Viele Leute machten sich offenbar gerade auf den Heimweg, denn sie standen auf den Fahrbahnen und versuchten, eines der wenigen vorbeirasenden Taxis anzuhalten. Nach meinem gemächlichen Rundgang durch die Innenstadt stand ich wieder vor dem TSUM. Die Auslagen in den dunklen Schaufenstern schienen zwar auf einem wesentlich neueren Stand als bei meinem letzten Besuch zu sein, aber immerhin gab es das Kaufhaus noch. Am nächsten Morgen würde ich meinen Streifzug hier beginnen, beschloß ich.
    Als ich am nächsten Morgen in den Sonnenschein hinaustrat, war das TSUM noch immer geschlossen. Ich schlenderte über eine lange, schnurgerade Straße, die Vitôsa, an der die meisten der größeren Geschäfte zu liegen schienen. Sie waren ausnahmslos geschlossen, doch vor fast jeder Ladentür hatte sich bereits eine lange Warteschlange gebildet. Ich wußte, daß sich Bulgarien in einer verzweifelten Lage befand – daß die Leute um halb fünf in der Frühe für Milch anstehen mußten, daß die Preise einiger Grundnahrungsmittel in einem Jahr um 800
    Prozent gestiegen waren, daß das Land umgerechnet 10,8 Milliarden Dollar Schulden hatte und so wenig Geld besaß, daß die Zentralbank gerade bezahlen konnte, was innerhalb von sieben Minuten importiert wurde –, aber nichts hatte mich darauf vorbereitet, an einer einzigen Straße Hunderte von Menschen für einen Laib Brot oder ein paar Gramm sehniges Fleisch anstehen zu sehen. Als die Läden öffneten, wurden in den meisten Eingängen korpulente Türsteher postiert, die einen Kunden nach dem anderen einließen. Sämtliche Regale waren leer. Die Waren wurden direkt aus einer Kiste neben der Kasse verkauft. Vermutlich wurde der Laden wieder geschlossen, sobald die Kiste leer war. Ich beobachtete, wie eine Frau mit einem schmächtigen
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