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Wo bitte geht's nach Domodossola

Titel: Wo bitte geht's nach Domodossola
Autoren: Bill Bryson
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andere Weise dazu bewegen will, ein bißchen Geld locker zu machen. Nirgendwo sonst auf dieser Erde kann es eine Stadt geben, in der so erbarmungslos an den Sinnen des Besuchers gezerrt und gerüttelt wird, wie in Istanbul. Ein Erlebnis, das gleichermaßen verwirrend, zermürbend und seltsam aufregend ist.
    Die Galata-Brücke war von Scharen von Fußgängern, Bettlern, Straßenverkäufern und Lastenträgern bevölkert. Auf ihrer gesamten Länge zogen Angler Fische aus der öligen Brühe, denen man auf den ersten Blick ansah, wie vergiftet sie waren. Am Ende der Brücke schlängelten sich zwei Männer mit angeleinten Braunbären durch den stockenden Verkehr am Sirkeci Bahnhof, ohne die geringste Aufmerksamkeit zu erregen. Wirklich unerträglich in Istanbul ist die türkische Popmusik. Vor ihr gibt es kein Entrinnen. Aus jedem Restaurant, von jedem Limonadenstand, aus jedem vorbeifahrenden Taxi schlägt sie einem entgegen. Zu sagen, daß sie einen irgendwie an die Laute erinnert, die ein Mann von sich gibt, der seinen Kopf in, sagen wir mal, eine Industriemaschine gesteckt hat, gibt nur eine ungefähre Vorstellung davon, wie entsetzlich unmelodisch sie klingt. Man sagt, das Gefühl für sie entwickle sich in einem. Das tun Tumore auch.
    Den halben Nachmittag streifte ich durch die Straßen und staunte, daß eine solche Betriebsamkeit nur einen so kläglichen Wohlstand hervorgebracht hat. Ich ging zum Sultan-Ahmet-Platz auf der Höhe eines steil ansteigenden Hügels, schüttelte ein Heer von Postkartenverkäufern ab und betrat die Ayasofya, die Hagia Sofia, dieses gewaltige byzantinische Bauwerk. Es ist eine wunderschöne Kirche, fast so ehrfurchtgebietend wie der Petersdom, aber es war die Erleichterung, mich plötzlich an einem kühlen Ort, fernab von Lärm, Hitze und Chaos der Straßen Istanbuls wiederzufinden, die mir vor allem in Erinnerung bleiben wird. Eine Stunde wandelte ich durch die widerhallenden Gewölbe der fast menschenleeren Kirche und genoß jede Minute.
    Dann trat ich blinzelnd in den Sonnenschein hinaus und überquerte den Platz in Begleitung einer plappernden Schar von Postkartenverkäufern, Fotografen, Vertretern von Nachtclubs, Straßenfriseuren, Schuhputzern und einer Gruppe anderer Leute, die sich offenbar in meiner Gesellschaft wohlfühlten. Ich ging zur Blauen Moschee, die ebenfalls sehr schön war. Sie ist bis heute eine Stätte der Andacht, daher darf man sie nur in Strümpfen betreten. Die Schuhe muß man am Eingang stehenlassen, was ziemlich lästig ist, denn es kann Stunden dauern, bis man sie beim Hinausgehen unter den Hunderten von anderen Paaren wiedergefunden hat. Allerdings bietet sich hier die Gelegenheit, sich nach etwas Besserem umzusehen, falls das eigene Schuhwerk seine besten Tage schon hinter sich hat.

    Eigentlich wollte ich Topkapi besichtigen, aber es war geschlossen. Also machte ich mich auf den Weg zum Archäologischen Museum. Ich muß mich wohl verlaufen haben, denn plötzlich stand ich vor dem Eingang des weitläufigen und wunderbar ruhigen Parks Gülhane. Er war voller schattenspendender Bäume, zwitschernder Vögel und glücklicher Familien. Ich folgte dem leicht ansteigenden Hauptweg, der unversehens in einem Blick über den Bosporus endete, glitzernd und blau. Eine frische Brise streifte mich. Ich entdeckte ein Café und setzte mich an einen Tisch im Freien, bestellte eine Cola und nahm die Landschaft in mich auf: Ein tiefblauer Himmel spannte sich über das glitzernde Wasser, und an der anderen Seite der Meerenge, etwa drei Kilometer entfernt, waren die dürren Hügel von Üsküdar mit weißen Häusern übersät. Fähren durchkreuzten den Bosporus und nahmen Kurs auf die Prinzeninseln, die in der Ferne im bläulichen Dunst zu erkennen waren. In ihrem Gefolge tummelten sich Möwen. Es war unbeschreiblich schön. Genau der richtige Ort, um eine Reise zu beenden. Ich war am Ende meiner Straße angelangt. Da drüben lag Asien; hier endete Europa, und hier sollte auch mein müßiger Streifzug zu Ende gehen. Es war an der Zeit, nach Hause zu fahren. Das Gras stand hüfthoch, hatte meine schwer geprüfte Frau am Telefon berichtet. Auf dem Feld war ein Zaun zusammengebrochen. Die Schafe waren auf dem Rasen. Die Kühe standen im Korn. Auf mich wartete eine Menge Arbeit.
    Und ich war bereit. Meine Familie fehlte mir ebenso wie die angenehme Vertrautheit des Familienlebens. Ich hatte genug von der täglichen Suche nach einem gedeckten Tisch und einem Bett für die Nacht,
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