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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder
Autoren: Hartung Hugo
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Wiese davonlief.
    Die Tiere in den Käfigen waren unruhig, weil das Gewitter näherkam. Eine Hyäne jammerte. Am Westhimmel wetterleuchtete es, und man erkannte die Umrisse des fernen Gebirges.
    Bald bogen sich die Alleebäume an der Straße vom stärker werdenden Wind. Mir schien, als zittere der Boden ein wenig vom Donnergrollen. Schütternder Boden – eine verschnörkelte Schrift ›Glocke für Hülfe‹ …
    Keine ›Hülfe‹ mehr für Wera, gar keine Illusionen …
    Die Kinder schliefen schon, als ich unseren Prunkraum im Hause Büllrump betrat –, nur Kirsten lag auf ihrem Streckbett noch wach. Ich beugte mich im Dunkeln über sie, um ihr den Gutenachtkuß zu geben. Sie strich mir prüfend über die Wangen:
    »Dein Gesischt ist ja feuscht.«
    »Es regnet«, log ich.

Der letzte Hammelsprung
    Bei den meisten von den wenigen unter uns, die noch ein Tagebuch führen, kommt wohl in vorgeschrittenen Jahren der Zeitpunkt, an dem sie diese kleine zusätzliche Tätigkeit aufgeben. Tagebücher der Kindheit und der frühen Jugend, so unbeholfen sie geschrieben sein mögen, bergen oft noch glühende Geständnisse, die man weder dem angebeteten Objekt noch dem vertrauenswürdigsten Freund zu bekennen wagt. In den ersten Mannesjahrzehnten macht man sich vielleicht noch eitle Hoffnungen, man könne mit ›großen Konfessionen‹ künftigen Biographen eine gewisse Hilfsstellung geben.
    Um die Fünfzig herum läßt man aber auch diese Hoffnung fahren, und die unvollendeten Tagebücher enden ruhmlos in einem Schreibtischwinkel, wenn nicht gar der Hausfrau die Erlaubnis erteilt wird, sie einem im Hinterhof klingelnden, tutenden oder ausrufenden Hausierer anzuvertrauen, der sie alsbald, in Idealkonkurrenz mit Flicken, Lumpen und durchgetanzten Karnevalsschuhen, den Reißwölfen der Papiermühlen zuführt, wo die Grundlagen für neue Tagebücher einer neuen Generation geschaffen werden.
    Solche späte Skepsis war indes wohl nicht der Anlaß, daß mein ehemaliger Klassenkamerad Bruno Tiches kurz nach der Währungsreform das Tagebuchschreiben ganz einstellte. Es ist vielmehr so gekommen, wie die drei Frauen, die in Brunos Leben zuletzt eine entscheidende Rolle spielten, übereinstimmend ausgesagt haben: Der Tiches aus den Jahren 1948 bis 1955, die man als seine sieben fettesten Jahre bezeichnen kann, wurde zum Typ jener wirtschaftlichen und politischen Manager, die keine Bücher schreiben können, als die von Finanzbehörden geforderten, und jene anderen, die über die wahre Vermögenslage Auskunft geben. Eine solche ›doppelte Buchführung‹ mochte auch dem ehemaligen Klassenkameraden hinreichend zu schaffen machen. Dazu kam noch der Briefwechsel mit drei Frauen, der für den an einem vierten Ort Wohnenden recht zeitraubend gewesen sein muß.
    Ich habe die drei Damen, die sich mit gleichem Recht als seine Verlobten oder, wenn man so will, als seine Witwen fühlen – Frau Müller-Gegginger, Frau Kückeley und Frau Ottmar –, im Auftrag und auf Spesenkonto der Illustrierten-Redaktion nacheinander aufgesucht und sie mit dem gebotenen Zartgefühl über Brunos letzte Lebensjahre befragt.
    Es handelte sich um drei nicht mehr ganz junge Damen, welche mit Tiches auf Grund von Inseraten – die erste sogar noch auf eine sogenannte Baumanzeige hin – in Beziehung getreten waren, die der vitale Mann nach allen möglichen Richtungen hin, aber in erster Linie auf geschäftlicher Grundlage erfolgreich ausbaute. Ich hatte den Eindruck, daß die Frauen, die erst nach dem Tode ihres Teilhabers von dessen Doppel-, beziehungsweise Tripelleben erfuhren, sehr einhellig einen Nachlaßprozeß anstrebten. In gewissen anderen, persönlicheren Dingen fand ich sie weit weniger einmütig. Doch wird es mir, nach ihren Aussagen, nicht schwer, auch ohne Tagebuchaufzeichnungen Brunos Bild abzurunden.
    Sein körperliches Bild aus jener Zeit vertrüge freilich keine Abrundung mehr. Frau Ottmar hat mir eins seiner letzten Bilder gezeigt. Bruno lehnt dabei vor dem Hintergrund eines Revieraküstenstrichs an seinem schweren Wagen, dessen Kühlerstern er mit der rechten Hand umfaßt. Man sieht ihn als einen mächtigen, wohlbeleibten Mann von etwas auffälliger Eleganz, mit feisten Hängebacken, die seine ohnehin nie sonderlich geprägte Gesichtslandschaft völlig zerfließen lassen. Bei seinem Tode betrug sein Lebendgewicht zweihundertfünfzehn Pfund ›ohne‹.
    Teils neben-, teils nacheinander hat Tiches mit den von seinen drei Bräuten hergestellten
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