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Wir Wunderkinder

Titel: Wir Wunderkinder
Autoren: Hartung Hugo
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oder vertriebenen Industrie- und Handelsprodukten so gute Geschäfte gemacht und kam durch sie auch in einige derart ansehnliche Aufsichtsratspositionen, daß er zweifellos mit mehreren großformatigen Todesanzeigen seine im Banklehrlingsfach begonnene kommerzielle Laufbahn beendigt haben würde. Aber sein immer virulenter politischer Ehrgeiz verschaffte ihm darüber hinaus sogar eine Art von Staatsbegräbnis, und es erscheint mir durchaus berichtenswert, wie es dazu gekommen ist. Zunächst hatte Bruno, wie ja noch aus seinen eigenen Aufzeichnungen hervorgeht, heimlich Verbindung zu einigen Parteigängern seiner Münchner Zeit aufgenommen. Diese muß er aber bald wieder aufgegeben haben, als er die Männer teils einflußlos, teils auch von politischem Machtstreben kuriert fand.
    Kurz nach Errichtung der Bundesrepublik reiste er in ihre provisorische Hauptstadt, um sich, wie er Frau Müller-Gegginger bekannte, ›die Leute dort mal anzusehen‹. Wieder einmal stand er nicht ganz zufällig am Wege des Exponenten der Macht, aber zum ersten Mal kam es nicht dazu, daß er ewige Treue und Gefolgschaft schwur. Sicher brach der reife Mann nicht mehr in ›Hurra‹- und ›Heil‹-Rufe aus, wie einst in Leipzig oder München, doch mag sein Hutlüften immerhin so bedeutungsvoll ausgefallen sein, daß es einen gefolgschaftsheischenden Blick verlangt hätte.
    Zu diesem Blick kam es nicht. Bruno Tiches wurde von seinem Kanzler nicht erkannt, wie vorher von seinem Kaiser und seinem Führer. Oder wurde er gerade erkannt? In einem erhalten gebliebenen Brief an seine damalige Hauptverlobte, der noch am gleichen Tag im Hotel geschrieben wurde, heißt es sehr kurz:
    »Ich stand am Wege, auf dem A. {56} manchmal zu Fuß von seiner Wohnung in R. 1 kommt. Er sprach mit seinem Staatssekretär H. Ich habe die Herren gegrüßt, aber sie haben mich nur eben so obenhin wiedergegrüßt. Ich bezweifle überhaupt nach meinen Eindrücken stark, daß man hier auf dem richtigen demokratischen Wege ist.«
    Damals nun hat Tiches – und davon wußte vor allem seine zweite Braut, Frau Kückeley, zu erzählen – einen seiner kühnen Entschlüsse gefaßt. Er gründete eine eigene Partei. Er habe, bekannte er, herausgefunden, was man an den beiden untergegangenen, ihm anfangs jeweils sympathischen Staatsformen doch als gut anerkennen konnte, und was teils durch die Schwäche ihrer obersten Repräsentanten, teils durch ›Intrigen‹ verdorben und verwässert worden sei. Er faßte die ›guten Komponenten‹, wie er das nannte, zusammen, tat einiges Finanzkapital von seinen drei Bräuten, einiges an eigenem, verworrenem Gedankengut dazu, und, siehe da, er gebar ein Parteilein, das sich zu gleichen Teilen nationalistisch und sozialistisch gebärdete und das aus den Reihen der ewig Unbelehrbaren und Mißgünstigen oder von den Ausgeschalteten des vorigen Regimes bescheidenen Zulauf erhielt.
    Es langte zwar noch nicht zu einem Bundestagssitz für den Spitzenkandidaten Tiches, aber in einem Länderparlament, das keine Fünfprozentklausel kannte, zog er bei einer späteren Landtagswahl doch als Abgeordneter ein, und eine unerforschliche Parteienarithmetik machte ihn, machte ausgerechnet meinen ehemaligen, in vielen Berufen und Positionen nachhaltig und überzeugend gescheiterten Klassenkameraden zum Zünglein an der politischen Waage. Als solches konnte er, je nachdem, bei wichtigen Abstimmungen die rechte oder linke Schale steigen oder fallen lassen.
    Nimmt man es genau, so war Bruno Tiches in seinem Ländchen im Besitz der absoluten Macht. Nie vorher in seinem Leben ist er so umworben worden. Kam er gestern von einem Sektfrühstück bei den Industriellen, so wurde er heute von einer Gewerkschaft zu einem Bierabend mit Steinhäger und echtem Pilsner eingeladen. Und da er Bier und starke Sachen den vornehmeren Getränken vorzog, mußte sich morgen wieder die bürgerliche Parlamentshälfte um eine neue Attraktion für Bruno bemühen. Keines der in seinen Kreisen üblichen Leiden – Managerkrankheit, Kreislauf und Bandscheibe – fehlte infolge dieses bankett- und opferreichen Lebenswandels dem Abgeordneten Tiches.
    Die letzte seiner Bräute, Frau Ottmar, hat ihn mir sehr plastisch, ich möchte in diesem Falle sogar sagen ›vollplastisch‹ geschildert: Wie er als Zweizentnermann zwischen den Machtblöcken von Regierung und Opposition saß, selbst in jeder Beziehung ein Machtblock! Er hielt keine Reden, dazu war er zu faul und zu unbegabt. Aber sein
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