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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition)
Autoren: Justin Torres
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Blinzeln; was uns verblüffte, war die Art, wie der Headbanger die Lippen bewegte – wild, stimmlos. Er hatte Tieraugen und weiße Haare und verblüffte uns. Ohne Stimme bedeutete uns der Headbanger, wir sollten uns nicht rühren, oder er betete oder verfluchte seinen Vater, ein schwarzmagischer Voodoofluch, oder alles gleichzeitig, nur indem er die Lippen bewegte, dieser Kerl.
    Wir hörten, wie der Vater die Treppe hinaufstapfte und in sein Schlafzimmer ging. Eine Tür donnerte zu, dann lief ein anderer Fernseher. Ich warf aus Versehen meinen Becher um, die Limo ergoss sich, lief auf den Spalt in der Tischmitte zu und machte dort im Fallen genau das Geräusch eines Mannes, der auf den Boden pinkelte.
    »Lass gut sein«, sagte der Headbanger, öffnete die Kellertür und rief uns mit einem gekrümmten Finger zu sich.
    Wir ließen den Headbanger das fluoreszierende Licht anschalten und als Erster die Treppe hinuntergehen. Wir taten drei Schritte, beugten uns vor, suchten alles nach Fallen, Waffen, anderen Kindern ab. Wieder drei Schritte, Pause. Manny fragte: »Schläfst du hier unten?«
    »Oben.«
    »Hier stinkt’s.«
    »Das ist ein Keller, was erwartest du? Macht euch vor Angst wohl in die Hosen, was? Wart ihr noch nie in einem Keller?«
    »Klar«, antwortete Manny.
    »Wir alle«, sagte Joel. »Zusammen. Wir drei. Andauernd.«
    Aber der Headbanger hörte gar nicht zu; er war an eine Truhe getreten und zog eine Decke hervor.
    Drei Eisenträger stützten den Boden des Hauses über uns. Die Decke war mit Bahnen von Isoliermaterial gestreift, die mit einer Nagelpistole an die Unterseite geschossen worden waren, ein langer Streifen hatte sich gelöst oder war abgerissen worden und berührte nun den Lehmboden des Kellers. Bauschig dicke, rosa Glaswolle schaute heraus. Der Headbanger führte uns in eine Ecke, die mit drei abblätternden Holzfensterläden abgetrennt war. Eine Lücke zwischen zwei Läden diente als Eingang, als Tür gab es ein Bettlaken mit einem Flügelhelmmuster.
    In dieser Ecke standen eine alte Fernsehtruhe und ein Videorekorder.
    »Ich besorg mir noch ne Couch«, sagte der Headbanger und rollte eine zerschlissene, tigerförmige Decke auf dem Boden aus. Staub wirbelte auf und hing in der abgestandenen Luft, wir wedelten mit den Händen vor unseren Nasen und husteten. Aus dem hinteren Hosenbund, verborgen unter dem Hemd, zog der Headbanger ein schwarzes Rechteck aus Plastik hervor, eine Videokassette, und hielt das Band mit beiden Händen vor sich wie ein Lenkrad. Der Titel war mit Textmarker geschwärzt.
    »Hier ist es«, sagte er, »das wollt ich euch zeigen.«
    Das Band lief, das Bild wanderte ein paar Mal über den Bildschirm, dann beruhigte es sich und wurde scharf. Ein weißer Junge, ein Teenager, lag auf dem Bett und blätterte in einem Buch. Es klopfte an der Tür, und ein älterer Mann kam herein; der Junge nannte ihn Dad.
    »Was willst du, Dad?«, fragte er.
    »Erklär mir mal, warum du die Teller nicht abgewaschen hast, wie ich dir gesagt habe.«
    Vor ein paar Monaten im öffentlichen Schwimm bad war eine Mutter, die sich angeregt mit ihrer vielleicht fünf- oder sechsjährigen Tochter unterhalten hatte, links statt rechts abgebogen und in die Männerumkleide geraten, wo meine Brüder, mein Vater und ich und noch weitere Männer und Jungs duschten, sich auszogen, anzogen und nackt waren. Die Mutter war rot geworden und hatte instinktiv ihrer Tochter die Augen zugehalten; sie hatte beide Hände vor das Gesicht ihrer Tochter gelegt und eilte mit ihr hinaus. Und die Männer – die außerhalb ihrer eigenen Verwandtschaft niemanden anschauten oder ansprachen –, die Männer hatten sich plötzlich umgeblickt, und nach einer kurzen Pause waren sie alle in Gelächter ausgebrochen.
    » Meine Güte «, hatte die Mutter gesagt, kurz bevor sie das Mädchen schnappte und ihr die Augen zuhielt. » Meine Güte.« Daran erinnerte ich mich noch.
    Und der Fernseher: »Ach, Daddy, lass mich in Ruhe!«
    Und der Fernseher: »Werd ja nicht frech.«
    Wir saßen auf dem Tiger, hielten unsere Knie umklammert – waren betäubt, hypnotisiert. Da war der muffige Geruch, die Erde unter uns. Da war der Headbanger, der gepfiffen hatte und behauptete: »So einen Film habt ihr bestimmt noch nie gesehen, da wette ich drauf« – und nun schwieg er und atmete mit offenem Mund. Ein Schweißfilm stand auf meinen Handflächen, und mit dem Schweiß kamen Hitze und Schwindel. Es gab weiße Magie und schwarze Magie.
    Und der
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