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Wir Tiere: Roman (German Edition)

Wir Tiere: Roman (German Edition)

Titel: Wir Tiere: Roman (German Edition)
Autoren: Justin Torres
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kommen konnten. Doch dann klingelte das Telefon wieder und wieder und wieder.
    »Was, wenn er einen Herzanfall hat?«, fragte Manny.
    »Welches Herz?«, sagte Ma.
    »Ich geh dran«, sagte Manny, und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, nahm unsere Mutter seine Schüssel und schmetterte sie auf das Linoleum.
    Das Telefon klingelte weiter.
    Ma schickte uns raus, Manny schloss sich in unserem Zimmer ein, also versteckten Joel und ich uns im Kriechkeller, wo wir Eisstiele anspitzten und uns auf die Schlacht vorbereiteten. Im Kriechkeller klangen die Schritte noch viel lauter, die Stimmen waren gedämpft, und es gab kein Telefon.
    Paps kam schließlich wieder nach Hause, und es donnerte und trampelte über uns, sie jagten einander und schmissen Möbel um. Ihre Schreie und Flüche drangen nicht als Wörter zu uns, sondern als weiche, stumpfe Schläge. Schließlich stieg einer von ihnen ins Auto und fuhr davon, dann nichts, Stille, das leichte Scharren eines Besens.
    Wir krochen noch weiter in den Keller, so weit wir konnten, bis an die Betonziegelwand. Dort entdeckten wir einen Haufen alten Krempel, eine Flickenbörse aus knarzendem Kunstleder, eine kaputte Schreibmaschine und unser altes gelbes Telefon. Joel drehte an der Wählscheibe.
    »Dring-dring«, machte er.
    Ich nahm den Daumen zum Hören und den kleinen Finger zum Hineinsprechen.
    »Wer ist da?«
    »Mami, warum gehst du nicht ans Telefon, wenn ich anrufe?«
    »Weil du dich hässlich anhörst!«, sagte ich, und wir mussten beide lachen.
    Ich schnappte das Telefon und wählte.
    »Yo, yo, was gibt’s?«
    »Frau, hier spricht dein Mann, als benimm dich gefälligst anständig.«
    »Was willst du von mir?«
    Ich starrte den Hörer in meiner Hand an; mir fiel absolut nichts darauf ein, also nahm Joel das Telefon und rief mich an.
    »Ja, bitte?«
    » Dígame , Mami«, sagte er. »Sprich mit mir.«
    »Ich vermisse dich, bei der Arbeit, in diesen verdammt langen Stunden, ich vermisse dich ganz furchtbar.«
    »Ich weiß, Mami, ich weiß.«
    Wir legten beide auf; wir lachten nicht mehr, sahen uns nicht an, grinsten aber. Nach einer Weile rief Joel mich an.
    »Hallo?«
    »Ich hab Arbeit!«
    »Du hast Arbeit ?«
    »Ja, Liebling, ab jetzt wird alles gut, einfach nur gut.«
    Wir legten beide auf, aber ich rief sofort zurück.
    »Tut mir leid.«
    »Ach, Baby, nein«, sagte Joel. »Mir tut’s leid.«
    Beim nächsten Anruf von Joel machte ich meine Stimme sexy.
    »Hallo, du«, sagte ich.
    »Selber du«, sagte er, und wir wurden beide rot und legten auf.
    Ich rief Joel an.
    »Hallo?«
    »Was machen wir denn jetzt?«
    »Was meinst du mit: ›Was machen wir jetzt?‹«
    »Soll das ewig so bleiben?«
    »Nein, Liebling, das bleibt nicht ewig so.«
    »Und was machen wir jetzt?«
    »Na, was immer nötig ist, was sonst«, antwortete Joel.
    »Und was ist nötig?«
    »Weiß ich noch nicht.« Joel spannte das Kabel wie Pfeil und Bogen und schoss.

Kommt gefälligst
    A ls Paps wieder zu Hause war, wollte er bei uns sein, alle fünf zusammen, immer. Er trieb uns in die Küche und gab uns große Messer, um Zwiebeln und Korianderblätter zu hacken, während er die trockenen Bohnen sortierte und Reis kochte, und Ma unterhielt sich mit ihm und roch an den Töpfen und zwinkerte uns zu.
    Nach dem Essen steckte er uns alle in die Badewanne, ohne Schaum, nur fünfzehn Zentimeter graues Wasser und unsere nackten Hintern, unsere Knie und Ellbogen und unsere drei kleinen Penisse. Paps schrubbte uns kräftig mit einem seifigen Waschlappen ab. Er grub seine Fingernägel in unsere Kopfhaut, als er uns die Haare wusch, und warnte uns, wenn wir Shampoo in die Augen bekämen, sei das unsere Schuld, weil wir so herumzappelten. Wir machten Motorbootgeräusche, manövrierten Styroporstücke um Zahnstocher und Milchflaschendeckelinseln aus Plastik, und wir bemühten uns, tapfer zu sein, wenn er uns packte; wir versuchten, nicht zusammenzuzucken.
    Ma beugte sich über das Waschbecken, linste in den Spiegel, zupfte sich die Augenbrauen und bog sich die Wimpern mit glänzenden Metallwerkzeugen. »Nicht so grob«, sagte sie, ohne ihn anzusehen, ohne auch nur zu zwinkern.
    Sie trugen beide kein Oberteil; Ma hatte einen fleischfarbenen BH und eine schwere Baumwollarbeitshose an, Paps hatte sich das Hemd ausgezogen, um uns zu waschen. Wir konnten alles sehen – unsere Haut war dunkler als Mas, aber heller als Pap s ’, Ma war zart und wendig, die Rippen zeichneten sich unter ihren Brüsten ab, Paps war muskulös,
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