Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender
Autoren: Halldór Gudmundsson
Vom Netzwerk:
Europa und die Demokratie. Aber er stärkte auch das Selbstvertrauen des Kapitalismus und das allgemeine Vertrauen in einen hemmungslosen Markt. Anstatt den Markt als eine von vielen Sphären der menschlichen Gesellschaft zu sehen, wurde er die Sphäre. Nicht nur breitete er sich über andere Sphären hinweg aus, sondern man sah auch in den Gesetzen des Marktes die Maßstäbe, die für alle anderen Bereiche ebenfalls gültig und richtig
waren, sei es das Privatleben, die gesellschaftliche Organisation des Zusammenlebens oder die Kultur. Überall galt die gleiche Währung. Man hatte den holprigen Weg der europäischen Geschichte verlassen und war in eine neue Welt eingetreten, um Hallgrímur Helgasons Beschreibung der isländischen Mentalität zu benutzen.
    Währenddessen entzog sich der Markt der demokratischen Kontrolle, und im ersten Jahrzehnt unseres neuen Jahrhunderts drehte er durch, jedenfalls im Finanzsektor. Nicht nur in Island, überall in der Ersten Welt gab es viel flüssiges Geld zu niedrigen Zinsen, überall nahm die Verschuldung rapide zu, überall unterschätzte man die Risiken, fast überall versagten die Kontrollorgane. Als das Geld zu fließen aufhörte, die Zinsen stiegen, das internationale Misstrauen zwischen den Banken wuchs und die Kreditlinien gekappt wurden, kamen alle Banken, die sich an risikofreudigen Investitionen beteiligt hatten, nicht nur die isländischen, in Schwierigkeiten. Die isländischen Banker waren wahrscheinlich weder dümmer noch krimineller als andere (vielleicht lagen sie im unteren Durchschnitt), aber die volkswirtschaftliche Begrenzung des Landes machte es dem Staat unmöglich, die Banken aufzufangen. Die überhitzte Reaktion der britischen Regierung, danach sofort zu den Terroristengesetzen zu greifen, lässt sich vielleicht damit erklären, dass sie Island sofort als Beispiel nahm. Seit Jahren hatte London versucht, sich zum größten Finanzzentrum der Welt aufzubauen. Die Icesave-Konten waren bei weitem nicht die einzigen Sparkonten, die ausländische Banken britischen Sparern anboten. Nun glaubte man, müsste sofort ein Signal gesetzt werden. Denn auch die britische Finanzaufsicht hatte versagt. Die britischen Kontrollorgane, wie die
Finanzaufsicht in Island, verfügten sicher über ausgezeichnete Instrumente, um einzelne Banken zu prüfen, aber sie hatten keine Instrumente, um die Systemfehler in der Vernetzung der westlichen Finanzwelt aufzudecken. Es gab eine Globalisierung, nicht zuletzt im riesigen Labyrinth der internationalen Verschuldung, aber es gab keine überstaatliche Koordination der Gegenmaßnahmen. Das versucht die reiche Welt jetzt verzweifelt in verschiedenen G8- oder G-20-Tagungen nachzuholen, hauptsächlich, in dem man so viele Steuergelder wie möglich in die Wirtschaft pumpt.
    Aber sollte man den dahinsiechenden Markt wirklich einfach wieder aufpumpen und dann loslassen, damit er so dasteht, wie er früher mal war? In Island wird man sich damit wahrscheinlich nicht abfinden. Es geht dabei nicht unbedingt darum, irgendwelche utopischen Alternativen zur Marktwirtschaft zu entwickeln, sondern es geht um demokratische Kontrolle und das Bemühen, dem marktorientierten Denken Grenzen zu setzen. Es in seine Schranken zu weisen, um die Qualitäten des Miteinanders in anderen Bereichen zu bewahren oder wieder aufzubauen. Im Jahr nach dem Zusammenbruch können die Isländer allmählich den Spieß umdrehen. Island ist ein kleines Land, aber es hat an Bedeutung gewonnen durch die Finanzkrise, ist größer geworden.

    Wie wird es weitergehen mit Island? Dem Verfasser fällt es nicht ein, so zu tun, als könnte er die Zukunft seines Landes vorhersagen oder Lösungen ausbreiten. Der internationale Finanzkapitalismus hat Island erstmal verlassen, wie der Hubschrauber die kleine Insel Flatey. Es wird schwierig genug
werden für die Isländer, ein einigermaßen funktionierendes, neues heimisches Bankensystem aufzubauen. Wahrscheinlich ist ihre Währung unhaltbar, und wahrscheinlich führt der vernünftigste Weg über die EU zum Euro. Man darf hoffen, dass der einfache Spruch vieler Isländer über die Krise, »als Erste rein, als Erste raus«, sich als richtig erweisen wird. Nur eines müssen wir vermeiden: uns wieder auf die herkömmlichen Lösungen begrenzen zu lassen. Die Isländer verfügen über Unmengen an natürlicher Energie, aber sie müssen sie nicht ausschließlich für amerikanische Aluminiumfabriken verwenden. Ein guter Weg führt über den gesunden
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher