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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender
Autoren: Halldór Gudmundsson
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stehen und seinen Topf zu schlagen. Als ich eines Tages zwölf Stunden geschlagen hatte, ging es mir wie nach einem Meerbad. Wow, heute habe ich wirklich was geleistet, dachte ich mir. Meine Fahne, mit dem roten Kreuz in der Mitte, wurde auch registriert; jemand
nannte sie die neue Fahne der Republik. Es waren ja unglaublich viele Menschen auf den Demonstrationen. Es ging natürlich zu weit, dass man die Polizisten beworfen hat, aber abgesehen davon war es herrlich, all diese Menschen!«
    »Jetzt bin ich wieder Bäcker geworden, nach zehn Jahren Pause. Es gibt diese schöne Institution auf dem Lande, Solheimar heißt die. Es gibt sie schon seit 1930 als Heim für Menschen mit Down-Syndrom und ähnlichen geistigen Behinderungen. Momentan leben um die hundert Menschen dort; man folgt den Lehren von Rudolf Steiner und legt viel Wert auf gemeinsames ökologisches Wirtschaften und Ähnliches. Ich hatte schon früher davon gehört, dass sie dort gerne eine Öko-Bäckerei einrichten wollten, und Anfang dieses Jahres rief ich also an, ob der Plan immer noch stünde. Ja, sagte man mir, und seitdem wohne ich hier und bereite die Inbetriebnahme der Bäckerei vor. Ich glaube, wir kriegen das schon alles hin. Jetzt denkt man ja nicht mehr wie vor der Krise, wo sich alles nur um Geld drehte und fix gehen musste. Wir gehen es hier langsam an, setzen einen Schritt nach dem anderen. Ich habe mich noch nie besser gefühlt!«

Zur Lage der Nation
    Let the suits be flash, the minister of commerce insane
    W. H. Auden: Journey to Iceland, 1937

    Im Sommer 2007 fuhr ich mit einem deutschen Freund durch die Vororte von Reykjavík. In Island gibt es bekanntlich nicht viele Bäume, aber damals bildeten die Baukräne einen regelrechten Wald um unsere Hauptstadt. Die Grundstücke gingen weg zu schwindelerregenden Preisen, man baute Wohnblocks, Einfamilien- und Reihenhäuser und immer neue Einkaufszentren. Mein Freund staunte und war tief beeindruckt, aber immer wieder fragte er mich: »Wer soll denn hier wohnen? Wer soll denn hier einkaufen?« Es kam ihm so vor, als wäre er in einer Millionenstadt und nicht in einer der kleinsten Hauptstädte der Welt. Eigentlich konnte ich ihm darauf nicht wirklich eine Antwort geben. Was mich allerdings damals nicht weiter bekümmerte, denn ich hatte offensichtlich wie viele meiner Landsleute meinen kritischen Blick verloren. Ich war einfach nur stolz auf unsere Produktivität. Uns Isländern wurde so viel Reichtum vorgegaukelt, dass wir anfingen, selbst daran zu glauben.
    Jetzt stehen viele dieser Häuser leer und neue werden in absehbarer Zeit nicht gebaut werden. Manche, die in den letzten Jahren eines dieser Grundstücke teuer erworben haben, mussten es inzwischen zurückgeben. Jene, die standhalten, werden auf Jahrzehnte einen Kredit abbezahlen, der den Wert ihres Hauses oder Grundstückes um bisweilen über fünfzig Prozent übersteigt.
    Das ist eine verrückte Situation. Andererseits: Sind die Zustände
jetzt nicht eigentlich die normalen? Ist man nicht einfach nach einem Ausflug in eine virtuelle Welt des Wohlstands wieder zurück in die Wirklichkeit gekehrt? Deutsche Leser mögen sicher einige Zeichen der Krise, wie sie in den vorangegangenen Kapiteln beschrieben wurden, in ihrem Land wiedererkennen, wenn auch in abgeschwächter Form. Nirgendwo tat das Aufwachen aus einem Traum bislang so weh wie in Island. Bei uns ist nicht eine Bank in Insolvenz gegangen, sondern das gesamte Bankenwesen. Deswegen erwischt die Krise in erster Linie nicht nur die Investoren und Entrepreneurs, die Spekulanten und die Börsenmakler, sondern ganz gewöhnliche Menschen, die niemals etwas am Hut hatten mit finanziellen Risikogeschäften und Spekulationen. Besonders hart trifft es dabei jene, die gerade dabei sind, sich eine Existenz aufzubauen – junge Familien und nicht zu vergessen die Tausenden von Ausländern, die in den letzten Jahren in Island ihr Glück und eine Arbeit gesucht haben.
    Die isländische Krone ist eine kleine Währung, die sowohl von isländischen Banken als auch von ausländischen Spekulanten über Gebühr strapaziert wurde. Man spekulierte, wo und wie es nur eben ging. Parallel zum Zusammenbruch des Finanzwesens fiel auch der Kurs der Krone, und noch immer wird ihr Wechselkurs nur mit harten Währungsrestriktionen aufrechterhalten, bei vielen ausländischen Zentralbanken wird sie gar nicht mehr notiert. Dieser doppelte Sturz, sowohl des Finanzwesens als auch der Währung, war folgenreich –
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