Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender
Autoren: Halldór Gudmundsson
Vom Netzwerk:
besonders für jene, die Schulden hatten. Es betraf dabei nicht nur ausländische Devisendarlehen, wie vielfach von den Banken in den letzten Jahren angeboten, sondern auch isländische Immobilienkredite, die traditionell indexgebunden sind. Dabei muss
man im Auge behalten, dass die weitaus meisten Isländer ein Eigenheim bewohnen, auf das sie eine Hypothek genommen haben. Beim Sturz der Banken schnellten die Kredite in die Höhe, und der Reallohn sank. Immer mehr Haushalte tragen nun immer mehr Schulden ohne realen Gegenwert.
    Finanzkrisen kennen die Isländer schon lange, aber Arbeitslosigkeit war ihnen in den letzten Jahrzehnten fremd. Meistens konnten sie sich von Schulden befreien, indem sie Überstunden machten oder zwei Jobs gleichzeitig nachgingen. Jetzt gibt der Arbeitsmarkt das nicht mehr her. Am schlimmsten trifft es, wie erwähnt, die Baubranche. Zur Kochtopfrevolution kam es, weil viele so genannte gewöhnliche Menschen so schlimm getroffen waren, dass sie auf die Straße gingen, um zu protestieren, was ihnen sonst nie eingefallen wäre. Natürlich stecken auch sozial Benachteiligte, Behinderte, alleinerziehende Väter oder Mütter und so weiter in großen Schwierigkeiten, und sei es nur wegen der Inflation, die in den ersten Monaten nach dem Kollaps auf achtzehn Prozent stieg. Am Glimpflichsten kamen bisher wahrscheinlich die Rentner davon, es sei denn, sie hätten ihre Ersparnisse in Wertpapiere der Banken oder Aktien gesteckt. Der isländische Aktienindex (OMX15, wie es so schön abgekürzt heißt) stand im Frühsommer 2007 bei achttausend, zwei Jahre später erreicht er gerade mal die zweihundert.
    Margret Margeirsdottir, bis vor Kurzem Vorsitzende des Vereins älterer Bürger in Reykjavík, meint, dass die überall um sich greifende Unsicherheit den Rentnern am Schlimmsten zusetze. Unzählige Anrufe seien deswegen bei ihrem Verband eingegangen. Viele befürchten auch, dass die großen Einsparungen, die zum Beispiel im Gesundheitswesen anstehen,
besonders Altenheime und Senioreneinrichtungen treffen werden, weil man die Probleme dort nicht als akut einstuft. Die meisten älteren Bürger haben jedoch ihre Immobilienkredite bezahlt und sind schuldenfrei. Das kann man über den isländischen Staat nicht sagen. Genau genommen kann man auch schwer eine Prognose darüber abgeben, wie sich die Staatsschulden Islands in absehbarer Zeit entwickeln werden, weil unter anderem bislang keine verlässliche Einschätzung der Eigentumssituation der insolventen Banken, die ja jetzt dem Staat gehören, vorliegt. Auch weiß man immer noch nicht, welche Verpflichtungen Island in Folge der Icesave-Konten übernehmen muss. Grob geschätzt werden die Schulden des isländischen Staates Ende 2009 ungefähr drei Viertel des Bruttoinlandsprodukts (BIP, ca. eintausendfünfhundert Milliarden Kronen) betragen, wobei man von Wirtschaftswissenschaftlern sowohl niedrigere als auch wesentlich höhere Zahlen hört. Schon diese Ungewissheit erschwert jegliche konkrete Planung. Sicher ist nur, dass der staatliche Haushalt in den nächsten Jahren gewaltig gekürzt werden muss. Alle Indikatoren schauen übel aus; im Jahresvergleich ist die Arbeitslosigkeit von zwei auf neun Prozent gestiegen, der Reallohn gleichzeitig um zehn Prozent gesunken.
    Angesichts dieser Situation stellen sich die Isländer immer wieder dieselben Fragen: Wie konnte es so weit kommen? Wer trägt die Verantwortung? Wir alle wussten natürlich von dem absurden Reichtum auf Pump. Man mag es noch als eine Ironie des Schicksals empfinden, dass einem Großteil des Servicepersonals auf dem kleinen Flughafen in Reykjavík inzwischen gekündigt wurde, weil dort fast keine Privatjets mehr landen. Und manche mögen sich heimlich darüber freuen, dass Jon Asgeir
Johannesson unlängst sowohl seine Yacht wie auch seinen Privatjet verkaufen musste. In diesen eher anekdotischen Bereich gehören auch die Geschichten darüber, was die Banken alles taten, um ihre wohlhabenden Kunden dazu zu bringen, Kredite für Investitionen aufzunehmen, darunter zum Beispiel Luxuseinladungen zum Formel-1-Rennen in Monaco. Es gehört sicher auch zu dem absurden Teil dieses Theaters, dass die isländische Wirtschaftskammer, ein Organ der isländischen Arbeitgeber, tatsächlich erst vor einem Jahr in einem Bericht schrieb: »Die Wirtschaftskammer schlägt vor, dass Island sich nicht mehr mit den skandinavischen Ländern vergleicht, da wir ihnen auf den meisten Gebieten voraus sind.« Hybris, hieß so
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher