Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender
Autoren: Halldór Gudmundsson
Vom Netzwerk:
aufgeklärt werden. Auch damit die Einwohner ihren Glauben an das Potenzial ihres Landes wieder
erlangen. Obwohl nicht Mitglied der EU, hat Island als Teil des Europäischen Wirtschaftsraums vollen Zugang zum europäischen Arbeitsmarkt. Da viele Isländer gut ausgebildet sind, haben sie trotz der Krise gute Möglichkeiten. Viele überlegen ernsthaft, ins Ausland zu ziehen. Die ausländischen Gastarbeiter (hauptsächlich in der Baubranche und den Fischfabriken beschäftigt), vor kurzem fast fünfundzwanzigtausend an der Zahl, verlassen, soweit es ihnen möglich ist, das Land. Viele von ihnen, besonders jene mit Familien, sitzen allerdings in Island fest; wenn sie sich eine Wohnung oder ein Haus gekauft haben, befinden sie sich nun in derselben Schuldenfalle wie die Isländer.
    Dass die Bevölkerung einen Kurswechsel will, hat sie bei den Wahlen am 25. April gezeigt. Das Resultat war der größte Linksruck in der Geschichte der Republik und gleichzeitig das schlimmste Wahldebakel der Unabhängigkeitspartei seit Bestehen. Wobei die Sitzverteilung der Parteien langfristig von geringerer Bedeutung sein wird als ein neues Selbstverständnis von Politik, der sich alle Beteiligten verschreiben sollten, will man die Zukunft Islands sichern: mehr Ehrlichkeit, mehr Offenheit, mehr Mitbestimmung, mehr Demokratie.

Mein Land als Beispiel
    Es gibt für mich nur eine Alternative:
entweder die Welt so gründlich zu besiegen,
dass sie mir zu Füßen liegt, oder aber
völlig vor die Hunde gehen.
Und selbst wenn ich vor die Hunde gehe,
reiße ich mich wieder von ihnen los!
Kapitulation existiert in
meinem Wortschatz nicht.
    Halldór Laxness in einem Brief an seine Verlobte, 1927

    In den ersten Wochen nach dem Kollaps des isländischen Bankenwesens machte sich die halbe Welt über Island lustig. Nicht zuletzt dort, wie in Dänemark oder England, wo die neureichen Isländer sowohl kräftig investiert hatten als auch großspurig aufgetreten waren. Island galt als ein Beispiel der übertriebensten Form des Neoliberalismus, einer hemmungslosen Raffgier, infolge derer kein Mensch mehr auf die Folgen achtete. Ausländische Journalisten strömten in Scharen ins Land und schrieben oftmals sehr ironische und leider auch manchmal sehr treffsichere Berichte. Ein Land in Insolvenz, ein bankrottes Volk – so lauteten die Schlagzeilen -, manchmal klangen sie schadenfroh, manchmal aber auch, aus verständlichen Gründen, weil die Leute viel Geld bei den isländischen Banken angelegt hatten, verärgert. Die Isländer kamen sich vor wie Ratten in einem Versuchslabor, und ihr Selbstvertrauen – bei kleinen Völkern sowieso immer ein Schwachpunkt – war schwer getroffen. Früher nahmen Grubenarbeiter oft einen Kanarienvogel mit in die Minen. Solange er sang, war die Luft in Ordnung. Die Isländer waren der Kanarienvogel des internationalen Finanzkapitalismus. Ihnen blieb die Luft als Erste weg.
    Aber dann verstrichen die Monate, und mehr und mehr Länder hatten mit Problemen zu kämpfen, die den isländischen im Prinzip in nichts nachstehen. Größere Volkswirtschaften sind zwar besser dafür gerüstet, finanziellen Schieflagen zu trotzen,
ihre Währung ist stärker, der Staat kann größere Verpflichtungen auf sich nehmen. Nichtsdestotrotz lädt man den Steuerzahlern in immer mehr Ländern immer mehr Bürden auf, um Banken und Firmen zu retten und die Wirtschaft in Gang zu halten. Und immer mehr Länder sind in der Situation, den Internationalen Währungsfonds um Hilfe bitten zu müssen, im April 2009 beispielsweise Polen.
    In Island trat die Krise mit einem Schlag ein. Die Ansprache von Geir Haarde, Gott segne Island , hat für viele Isländer inzwischen einen ähnlichen Stellenwert wie der Kennedy-Mord für die Amerikaner. Nie werden sie vergessen, wo sie gerade waren, als er sprach, was sie dachten, als er zu Ende war. Weil es so urplötzlich passierte, stellte sich aber auch rasch der Ärger, vielfach der Zorn ein. Und die Bevölkerung stellte relativ schnell die Frage danach, wer für die Misere verantwortlich war und was die Verantwortlichen nun zu tun gedachten. In vielen westlichen Ländern kommt die Krise schleichend, aber bald werden auch dort die Einwohner die gleichen Fragen wie die Isländer stellen müssen. Wohin fließt das Geld? Wie konnte es so weit kommen? Ziehen wir eine Lehre daraus, oder machen wir einfach so weiter wie gehabt?
    Der Fall der Sowjetunion vor bald zwanzig Jahren bedeutete einen riesigen Fortschritt, für
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher