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Wir sind alle Islaender

Titel: Wir sind alle Islaender
Autoren: Halldór Gudmundsson
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etwas bei den alten Griechen, und schon damals führte es ausnahmslos zum Fall.
    Ernster wird die Sache schon, wenn man an die schon erwähnten hohen Kredite denkt, die die Banken ihren eigenen Eigentümern gewährten. Wie sie es ausgewählten Kunden ermöglichten, die eigenen Aktien auf Kredit zu kaufen, nur um damit den Kurs der jeweiligen Bank in eine falsche Höhe zu treiben – eine Vorgehensweise, die der parteilose Handelsminister und Ökonom Gylfi Magnusson neulich öffentlich kritisierte. Jede Woche bringen die Medien, bis vor kurzem selbst viel zu unkritisch, neue Enthüllungen. Momentan ist es die finanzielle Unterstützung der politischen Parteien durch die Privatwirtschaft, die in allen Gazetten breit diskutiert wird. So konnte beispielsweise die Unabhängigkeitspartei Ende 2006 zwei ungewöhnlich hohe Spenden einstreichen, jeweils dreißig Millionen Kronen, und zwar von der FL-Group und der Landsbanki. Auch andere Parteien, mit Ausnahme der Links-Grünen, haben im selben Jahr Spenden von diesen oder vergleichbaren
Firmen entgegengenommen, keine jedoch höher als fünf Millionen. Zwei Umstände kamen hier besonders unglücklich zum Tragen: erstens traten, von allen Parteien unterstützt, am 1. Januar 2007 neue Gesetze in Kraft, die es den Parteien verboten, mehr als dreihunderttausend Kronen von einem Spender anzunehmen. Also spendierte man noch schnell ein paar Tage vorher ein nettes Sümmchen. Und zweitens erfolgten die Spenden auf Initiative des Parlamentariers und Bürgerratsmitglieds Gudlaugur Thor Thordarson hin, der zu dieser Zeit auch Aufsichtsratsvorsitzender des Energieunternehmens der Stadt Reykjavík war. Beide Firmen, FL-Group und Landsbankinn, hatten große Pläne auf dem Gebiet der Energiewirtschaft, und es war schließlich die FL-Group, die im Jahr darauf entsprechende Verhandlungen mit der Stadt Reykjavík führen durfte.
    Spenden wie diese waren sicher nur Kleingeld für die besagten Firmen, und sie haben mit dem Sturz des Bankenwesens nur insoweit zu tun, als dass sie ein deutliches Beispiel für eine ungesunde Verflechtung von Politik und Wirtschaft abgeben. Auch andere Länder kennen dieses Problem. Enthüllungen wie diese schüren natürlich das Misstrauen, das große Teile der Bevölkerung in Island inzwischen gegenüber ihren Politikern empfinden. Es wurde gewiss auch dadurch angeheizt, dass in den ersten vier Monaten nach dem Kollaps der Banken kein einziger Politiker in Island zurückgetreten ist. Die standardisierte Redewendung war, selbstverständlich wolle man sich vor seiner Verantwortung nicht drücken, aber jetzt gelte es, nach vorne zu schauen und über Lösungen zu sprechen. Man dürfe nicht dauernd in den Rückspiegel schauen, wie es Sigurdur Einarsson, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Kaupthing Bank, am 5. März so anschaulich formulierte.
    All dies macht den isländischen Steuerzahler zu Recht wütend: Die nächsten Jahre, wenn nicht Jahrzehnte, muss er die Schulden bezahlen, die ihm die Bankvorstände und ihre Mitarbeiter eingebrockt haben. Wie Maria Kristjansdottir es in ihrem Leserbrief formuliert hat, waren es Menschen und keine Naturgewalten, die diese Katastrophe verursacht haben. Man muss wissen, was sich in der Vergangenheit zugetragen hat, um bereit zu sein, in die Zukunft zu schauen. Der Wirtschaftswissenschaftler Olafur Isleifsson hält es für unabdingbar in einer solchen Situation, dass die Regierenden ihr traditionelles Schweigen brechen, was diese Dinge betrifft. Welche Fehler sind bei der Privatisierung der Banken und der Übernahme von Glitnir gemacht worden? Auf diese Fragen sei man der Bevölkerung eine Antwort schuldig. Was waren kriminelle Machenschaften, was war Inkompetenz, was war hausgemacht, was ging auf das Konto der internationalen Krise? Zwei Institutionen sollen diesen Fragen jetzt nachgehen: ein Untersuchungsausschuss, vom Parlament eingesetzt, soll bis zum Herbst einen Bericht über den Kollaps der Banken vorlegen. Und ein eigens dazu berufener Staatsanwalt soll eventuellen Gesetzesbrüchen in Verbindung mit dem finanziellen Ruin nachgehen. Die norwegisch-französische Anwältin Eva Joly wird ihn bei seinen Recherchen unterstützen. Wenn diese Dinge nicht lückenlos aufgeklärt würden, so Eva Joly im isländischen Fernsehen, stünde der ganze Gesellschaftsvertrag auf dem Prüfstand. Es geht um nichts weniger als um Gerechtigkeit, Wahrheit und Vertrauen.
    Das isländische Volk muss über die Ursachen des finanziellen Zusammenbruchs
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