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Das Gesicht der Anderen

Das Gesicht der Anderen

Titel: Das Gesicht der Anderen
Autoren: Beverly Barton
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PROLOG
    E s ist besser, Liebe empfunden
und Verlust erlitten zu haben,
als niemals geliebt zu haben.

Lord Alfred Tennyson
    Wo ist er?, fragte sich Amy.
    Es sah Dante gar nicht ähnlich, sie warten zu lassen. In den zehn Monaten, in denen sie jetzt zusammen waren, hatte er sich als absolut vertrauenswürdig und zuverlässig erwiesen. Sie war Menschen gegenüber generell immer etwas misstrauisch, doch er hatte es geschafft, ihr Vertrauen zu gewinnen. Dabei hatte sie ihm erst nach zwei Monaten erlaubt, sie zu küssen.
    Er würde sicher bald kommen. Immer wenn sie Spätschicht hatte, wie an diesem Abend, legte er Wert darauf, sie abzuholen und nach Hause zu bringen. Amy wippte nervös auf den Zehenspitzen und sah erneut auf die Uhr. Jetzt war er schon zehn Minuten zu spät.
    Der kühle Novemberwind frischte auf und ließ sie frösteln. Sie hätte besser eine Jacke mitgenommen. Aber natürlich war man hinterher immer klüger. Ein Fetzen Papier wirbelte durch die Luft und landete auf dem Bürgersteig. Vielleicht sollte sie wieder reingehen und dort warten, wo es wärmer war.
    Gerade als sie die Tür des
Dairy Dip
öffnen wollte, wo sie nach der Schule dreimal in der Woche abends und jeden Samstag ganztags arbeitete, kam Jerry Vinson heraus und schloss hinter sich ab. Jerry war der Manager und einer der Besitzer des einzigen Schnellrestaurants in Colby, Texas.
    “Ist Dante noch nicht da?”, fragte Jerry. “Das ist das erste Mal, dass er dich nicht abholt.”
    “Ich weiß.” Amy rieb ihre Handflächen an den Oberarmen, um sich zu wärmen. “Irgendwas muss passiert sein. Wahrscheinlich hat er Probleme mit dem Wagen. Er bastelt die ganze Zeit an seinem alten Mustang herum, damit das Ding überhaupt noch fährt.”
    “Soll ich hierbleiben und mit dir auf ihn warten?”
    Jerry und seine Frau Lorna waren gerade Eltern geworden, und Amy wusste, dass Jerry so schnell wie möglich nach Hause zu ihr und seinem sechs Wochen alten Sohn wollte.
    “Nein, fahr ruhig”, sagte sie. “Dante ist bestimmt gleich da. Außerdem sind wir ja nicht in Dallas oder Houston, sondern in Colby. Hier sind die Straßen auch nach zweiundzwanzig Uhr noch sicher.”
    Jerry kicherte. “Das kannst du laut sagen. Aber falls Dante nicht bald auftaucht, ruf mich von der Telefonzelle an der Ecke an, dann hole ich dich ab. Ich kann dich aber jetzt auch gleich mitnehmen und bei den Morrisons absetzen.”
    Amy schüttelte den Kopf. “Ich warte auf Dante. Wenn ich nicht mehr hier bin, wenn er kommt, macht er sich Sorgen. Und wenn er dann zu den Morrisons fährt, machen die wieder einen Aufstand. Sie sind lieb und nett und haben mich freundlich aufgenommen, aber sie finden, ich bin zu jung für eine ernsthafte Beziehung. Vor allem mit einem Typen wie Dante.”
    “Wie du willst”, sagte Jerry und warf ihr einen besorgten Blick zu. “Aber deine Pflegeeltern haben nicht ganz unrecht. Dante hat schon so einiges hinter sich, und du bist erst unschuldige siebzehn.”
    “Dante ist auch erst neunzehn.”
    “Ja, aber von der Erfahrung her fünfunddreißig …”
    Amy seufzte. Diese Sprüche kannte sie alle schon – von den Morrisons, von Jerry und sogar von ein paar ihrer Lehrer. Wie konnte sie den Menschen nur begreiflich machen, dass Dante Moran ein wunderbarer Mann war? Der Mann, den sie liebte. Der Mann, mit dem sie den Rest ihres Lebens verbringen wollte.
    “Fahr ruhig nach Hause. Ich komme schon zurecht.” Amy lächelte Jerry an. “Du musst nicht den großen Bruder spielen.”
    Sie wusste, dass er es nur gut meinte – wie alle anderen um sie herum, die ihr dauernd Ratschläge gaben. Aber keiner von ihnen konnte sich vorstellen, wie sie sich fühlte. Sie hatte ihre Eltern verloren, als sie noch in der ersten Klasse war. In den folgenden elf Jahren war sie dann von einer Pflegefamilie in die nächste gekommen. Jetzt wünschte sie sich nichts sehnlicher als eine eigene Familie. Und mit Dante würde sie diese Familie haben.
    “Aber ruf an, wenn er nicht kommt.”
    “Er wird schon kommen. Keine Sorge.”
    Jerry nickte, grinste sie an und verschwand um die Ecke, wo er seinen Wagen in einer kleinen Seitenstraße hinter dem
Dairy Dip
geparkt hatte.
    Amy stellte sich in den Hauseingang, um besser vor dem Wind geschützt zu sein. Sie schlang die Arme um ihren Oberkörper und sah die Straße hinunter in der Hoffnung, dort endlich Dantes Wagen auftauchen zu sehen.
Bitte beeil dich.
Wenn er nicht bald käme, hätten sie heute Abend kaum noch Zeit füreinander.
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