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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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nachmittags um vier, halb fünf. Es wurde jetzt schlagartig dunkel, ein letzter feuerrot aufglühender Himmel, und der See versank in tiefem Schwarz, im nächsten Augenblick. Bis zum Abendessen, das sie beim Wirt bestellt hatten, um nicht gänzlich unhöflich zu sein, und um nicht aufzufallen, war noch Zeit.
     
    Heinrich war plötzlich müde. Er zog den Überrock aus und warf ihn auf das Bett. Er ließ sich auf einen der Stühle fallen und zog sich kraftlos die Stiefel aus. Ratlos sah er sich in seinem Zimmer um, ohne etwas zu beachten. Er hatte Henriette die Stelle am See gezeigt, an die er vor vielen Jahren, vor sieben Menschenleben, wie es ihm schien, mit seinen beiden Freunden hingekommen war, aus der Garnison in Potsdam, mit Otto und Ernst, oder, wie sie sich beim Regiment nannten, Rühle von Lilienstern und Pfuel, und an der er ihnen zu ihrer Entsetzenseelenruhig die Möglichkeiten erörtert hatte, sich das Leben zu nehmen, so als gäbe es kein erheiternderes Thema auf der Welt. Sie waren siebzehn, achtzehn, und Heinrich empfand es als eine Qual, in einer Garnison sein Leben zu vergeuden. Wie ausgetauscht war er, wenn er beurlaubt wurde, um mit den Geschwistern zu verreisen, oder wenn er mit seinem Quartett musizieren konnte. Jedes Mal, wenn er zum Regiment zurückkam, hätte er sich am liebsten –
    Sich die Taschen mit schweren Steinen füllen, mit einem Boot hinausrudern, sich draußen auf dem Wasser auf den Rand setzen, die Pistole ansetzen – und – paff.
    Er dachte an den Tag, als er, optimistisch damals, aufgeräumt und vergnügt, mit Ernst an dieser Stelle gestanden hatte, seinem besten Freund, das ganze Gegenteil von ihm selbst und ihm doch ganz nah, als er, nun volljährig und im Besitz eines kleinen Geldes der Familie, nach sieben endlos scheinenden Jahren, den Dienst in Potsdam quittiert hatte, den lästigen, schrecklichen Dienst mit den idiotischsten Exerzitien, und nun wollte er seinen Freund dazu überreden, es ihm gleichzutun, vor uns liegt die Welt, liegen gemeinsame Reisen, unsere Freundschaft, Studien, das Glück, frei zu sein, zu tun und zu lassen, wonach uns der Sinn steht –
    Es war an der Kleinen Wannsee gewesen, genau dort, eine schöne Stelle, Wald und Wasser ringsum, mit dem freien Blick über die Brücke und den See hinweg –
    Heinrich hatte Henriette nichts gesagt, als sie dort standen, von Ernst.
     
    Nun saßen sie in Henriettes Zimmer, an ihrem Tisch.
    Sie hatte angeklopft, an ihre Zwischentür, komm doch bitte, magst du eine Kleinigkeit essen, und er hatte den Riegel aufgeschoben und war zu ihr hinübergegangen, erleichtert, aus seinen Gedanken geholt zu werden, die wer weiß welche ungute Richtung eingeschlagen hätten. Henriette hatte ihren Tisch ein wenig in den Raum hineingezogen und zwei Stühle dazu gestellt. Auf einem der beiden Stühle stand der Korb, den sie mitgebracht hatte. Sie nahm das Tuch, das die Sachen darin bedeckte, heraus, schüttelte es und legte es auf den Holztisch. Sie strich das Tuch glatt; sie liebte diese kleine Geste, die sie so oft in ihrem Leben gemacht hatte. Sie hatte Brot, Käse, Äpfel und Wein eingepackt. Die Suppe des Wirts würden sie später essen.
    So sparen wir Geld und können für uns allein sein, sagte Henriette und zwinkerte Heinrich zu.
    Was hast du?, fragte er verwirrt.
    Ach nichts, sagte sie, ich bin nur gerade so vergnügt!
    Sie deckte den Tisch. Zwei Becher, zwei Teller, Messer und Gabel.
    So hatte sie es sich manchmal vorgestellt, mit Heinrich zu leben, auch wenn sie ahnte, dass es unmöglich wäre, und bevor sie wusste, sie würde mit ihm sterben. Als Louis, ihr Mann, von ihrer Zuneigung Wind bekommen hatte, hatte er ihr an einem schönen Abend Ende September gesagt, wenn sie es wünsche, willige er in die Scheidung ein. Er würde sie Heinrich überlassen, wenn sie es wünsche. Er habe schließlich Augen im Kopf. Henriette, bestürzt, hatte nein, nein, wo denkst du hin gerufen und war erst einmal in Ohnmacht gefallen. Ichmeine es gar nicht böse, hatte Louis gesagt, als sie die Augen wieder aufschlug, den scharfen Geruch des Riechsalzes in der Nase. Ich bin dir von Herzen zugetan, du weißt es. Ich werde mit Heinrich sprechen. Fast wäre sie noch einmal umgekippt, aber sie lag ja schon, auf den Dielen ihrer grünen Stube, gleich neben dem Klavier. Bloß nicht, rief sie, ich flehe dich an!
    Ich habe kein Geld, um eine Frau zu ernähren, hatte Heinrich dem Freund gesagt, wie stellst du dir das vor?
    (Das hätte gerade noch
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