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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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nahm sie alles auf, die getünchten Wände zwischen den schrägen dunklen Holzbalken, den einfach, um nicht zu sagen roh gezimmerten Bettkasten mit dem Plumeau, das sich unter der ordentlichen, doch leicht abgenutzten Überdecke wölbte, den Stuhl mit dem geflochtenen Sitz, den Waschtisch mit Schüssel und Krug, selbst die einzelnen Dielen des Holzbodens. Einen Nachtschrank gab es und einen weiteren Stuhl. Das Schönste war ein Tisch aus hellem Kiefernholz, er stand neben dem Fenster an der Wand, darüber hing ein kleiner, nicht sehr glänzender Spiegel, immerhin. Henriette hatte noch nie eine Nacht in einem Gasthof verbracht, noch dazu in einem eigenen Zimmer. Sie wollte jeden Augenblick auskosten. Jeder Augenblick würde erfüllt sein mit Gedanken und Gefühlen, jeder Augenblick sollte ihr vorkommen wie ein ganzes Lebensjahr, zusammengezogen darin das Beste und Schönste und Reichste. So hatte sie es sich vorgestellt und so hatte sie es sich vorgenommen. Es ging in diesem Zimmer nicht nur um die unermessliche Welt ihres Inneren, die sie an HeinrichsSeite so glücklich zu durchwandern begonnen hatte, es ging nicht mehr um die Unermesslichkeit der Vorstellungskraft, mit der sie sich so oft aus ihrer ehelichen Wohnung fortgeträumt hatte, hinaus, hinauf, wohin auch immer, hinfort in jedem Fall, obwohl sie es doch liebte, ihr Leben, mit dem Kind vor allem, umgeben von Dingen, die sie liebte, –
    Nein, nicht um all diese Unendlichkeiten ging es, die sich in einem Zimmer versammeln konnten, wenn das Innere unendlich weit wird, sondern jetzt ging es auf die eigentliche Unendlichkeit zu, die des ewigen Lebens, des Lebens, das sie noch nicht kannte. An dessen unbedingte Richtigkeit sie unbedingt glaubte. Wie veränderte dies ein Zimmer! Fast bedauerte sie, dass es nicht drei Nächte sein konnten, aber nein, bremste sie sich, sei nicht dumm, dann käme es fast schon wieder einer Gewöhnung gleich. Es könnte ihr womöglich gefallen. Sie käme dann womöglich von ihrem Beschluss ab.
     
    Das Haus hatte einen eigentümlichen, fremden Geruch. Er kam nicht nur vom Wasser her; es war der Geruch gebackenen Brots vom Morgen, erkalteter Rübensuppe vom Mittag, und dazu ein leicht süßlicher Duft wie von Blut, als würde ein Huhn für den Abend soeben in der Küche geschlachtet. Henriette bemerkte, dass ihr Magen knurrte; sie hatte in den letzten Tagen kaum etwas zu sich genommen; sie wollte sich auch jetzt nicht weiter darum kümmern. Sie stellte die Tasche ab, und noch mit dem Korb im Arm machte sie zwei Schritte auf das kleine Fenster zu und öffnete es; es klemmte, sie musste kräftig ziehen. Die hereinströmende Luft war angenehm, kühlund frisch. Sie hörte den Wellenschlag; vor dem Gasthof zum Wasser hin hackte ein Mann Holz; ein anderer machte sich an einem Fischerkahn zu schaffen, den er aufs Land gezogen hatte; sie hörte Möwen schreien. Ein Reiherpärchen flog auf; Henriette folgte ihnen mit dem Blick und lächelte, sie fand kaum Wolken am Himmel. Die Bäume am anderen Ufer waren dunkle Flecken, nur vereinzelte Birken trugen noch ihr letztes, goldgelbes Laub, es leuchtete im Nachmittagslicht, über dem Grau in Blau des Sees; Wellen blitzten in der Sonne auf. Ein Novembertag, überraschend schön und klar.
    Henriette!
    Heinrichs Stimme ließ sie aus ihrer Träumerei aufschrecken, er klopfte heftig an ihre Tür, Henriette, darf ich eintreten, komm, wir wollen einen Spaziergang machen, du weißt schon, ich will dir etwas zeigen!
    Henriette schoss das Blut bis an die Haarwurzeln, ihre Hände zitterten, als sie den Korb auf den Tisch stellte.
    So Henry and I
    We walked down the lane
    The weather was fine
    For a November day.
    Heinrich und Henriette.
    Ich nenne Heinrich bei seinem Vornamen, denn wann immer ich seinen Nachnamen lese, scheint er mir so festgelegt, belastet von einem Wissen, das mich daran hindert, ihn neu zu befragen, ihn neu zu erfinden.
     
    Der Gasthof der Familie Stimming lag also dort, wo sich heute ein Yachthafen befindet, am Ende der Brücke, die damals als »Grenze« zwischen dem Kleinen und dem Großen Wannsee bezeichnet wurde und an der es eine Maut zu zahlen galt. Sie war schmal und führte nur knapp über dem Wasser über den See. Nicht nur einmal würden die beiden sie in den kommenden vierundzwanzig Stunden überqueren.
    Heinrich und Henriette hatten sich einen Ort ausgesucht, der im
Zwischen
lag, zwischen Berlin und Potsdam. Sandwege, Felder, Wasser und Wald. Ton, Lehm, Honig. Ein paar Höfe.
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