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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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rund, in den verschiedensten Tönungen und Schattierungen von silbrigem bis gelblichem Grün.
     
    Heinrich von Kleist hatte, wie ich später feststellte, nicht nur auf den sanften Doubs geblickt, sondern auch auf den wilden Gebirgsfluss Cluse, nur wenige Meilen weiter südöstlich, zur französisch-schweizerischen Grenze hin.
    Er lag auch keineswegs im Bett, in seiner letzten Nacht. Er rannte vielmehr auf Strümpfen hin und her, schrieb Briefe oder redete mit sich selbst, und mit Henriette, die das Zimmer nebenan hatte, durch eine Zwischentür getrennt, die aber im Laufe der langen Nacht mehrmals geöffnet wurde oder offen stand.
     
    Heinrich liegt nicht im Bett, im Gasthof Stimming an
der
Wannsee, wie man damals sagte, Heinrich schläft ohnehin eher am Vormittag, nach einer durchschriebenen Nacht, oder einer durchzechten.
    Hin und her geht er im Zimmer, in der eine Kerze flackert, wieder und wieder rechnet er sich seine Möglichkeiten vor, das Wenn und Aber, das Für und Wider möglicher Projekte, die ihn noch am Leben halten könnten, doch eines nach dem anderen bedenkt er mit einem resoluten Schütteln des Kopfes. So wie er es sich vorgenommen hat. Kein Zurück mehr in die Potenzialität. Schluss mit dem Sich-selber-Hinhalten. Er riecht den See draußen, er hört das Wasser ans Ufer schwappen, erstaunlich für ein Binnengewässer, diese Unruhe, das Havelmeer hat schon für manchen Toten gesorgt, mit überraschend hohen Wellen, er spürt den Sog dieses Sees, dem er sich nicht anvertrauen würde, weil er keiner ist, der sich dem Wasser überlässt wie ein Fisch oder Frosch. Nicht wie Ernst, sein Freund, der an keinem Fluss vorüber konnte, ohne sich die Stiefel auszuziehen und sogardie Kleider, wenn das Wetter es nur halbwegs erlaubte, und hineinlief wie ein Kind, rufend und freudig, und der sich hineingab in die Wellen, ohne zu wissen, was da unter ihm los war, wie tief es da hinabging, wer da lebte, der einfach losschwamm, in kräftig ausholenden Zügen, und der später den Soldaten, wo auch immer sie ihm unterstellt waren, das Schwimmen beibrachte, an der Angel in einem Ring.
    Heinrich registriert den Geruch des Sees wie alles andere, das ihn umgibt, ohne besonders darauf zu achten, er speichert es in seinem Körper, in irgendeiner nicht näher zu bezeichnenden unbewussten Region, er würde alles später zur Verfügung haben, wie immer, setzte er sich hin zum Schreiben, denn immer, wenn er schrieb, stellten sich die aufgenommenen Eindrücke von selber her, ganz ohne Nachdenken und Sich-erinnern-Müssen, einfach so, sie waren da, in ihm, abrufbar, sie schnellten in die Feder, die Gerüche von Menschen, die in Angst schwitzten oder sich freuten, von Tieren, die sich quälten oder gequält wurden, von Wiesen, die blühten und Blumen in fauligem Vasenwasser, die welkten. Die Gerüche wie die Geräusche, noch schärfer eigentlich die unbewusste Aufnahme von Geräuschen, spitzen, schrillen, schrägen, lieblichen, von Stimmen, der Stimme eines freundlich zögernden Mädchens etwa, oder der blechern tönenden eines fremden Befehls, vom lustvollen Aufstöhnen seiner selbst, wenn er an seinen Freund dachte, oder das grässliche Brummen, das ihm entfuhr ohne sein Zutun, wenn ihn in Gesellschaft so eine blöde Öde überkam oder er die anderen vergaß und mit sich selber disputierte. Das Geräusch, wenn er mit den Kiefernknirschte und es plötzlich wahrnahm. Oder eben das der knarrenden Dielen jetzt, über die er hin und her lief, auf Strümpfen, wie so oft. Er liebte seine Stiefel nicht, er zog sie aus, so oft er konnte, vielleicht, weil sie zu eng waren, vielleicht, weil sie zu ausgetreten waren und er kein Geld für neue hatte. Der Witz aber war, wie gesagt, dass er das Knarren der Dielen jetzt gar nicht so sehr bemerkte, erst später, wenn er es zum Schreiben bräuchte, wäre es da, abrufbar und überdeutlich – würde es denn jemals noch ein Schreiben geben!   –, während jetzt, hier, in dieser Nacht, seine ganze Konzentration bei seinen Gedanken lag, bei den Sätzen, die wie wild gewordene Pferde in alle Richtungen sprangen und sich nicht zusammenhalten ließen und dann doch wieder in schönster Klarheit vor ihm standen: Ich werde sterben, welch ein Glück, ich werde morgen mit Henriette sterben.
    Und er bleibt stehen, geht zu der Tür, die sein Zimmer von ihrem Zimmer trennt, er legt den heißen Kopf an das spröde Holz, er spürt seinen Schweiß, er achtet nicht auf ihn, er lauscht, schließt die Augen,
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