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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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Fischerkähne. Ziegen und Schafe. Stolpe hieß das Dorf, es hatte eine Ziegelei, eine Kirche und eine Poststation. Wannsee heißt es heute.
     
    Werden sie nichts sagen, fragte Henriette, aus der Kutsche steigend, und hielt Heinrich einen Augenblick fest, der auf den Gasthof zugehen wollte, weil wir nicht – sie zögerte – verheiratet sind?
    Sie haben nichts gefragt und nichts gesagt, als ich die beiden Zimmer bestellt habe, antwortete Heinrich, warum sollten sie es tun? Ich bin so oft mit meiner Schwester gereist, es hat nie jemand gefragt.
     
    Der Gastwirt Stimming tritt vor das Haus, vor dem die Lohnkutsche aus Berlin wartet. Er geht seinen beiden Gästen entgegen. Er hat viele Gäste. Er braucht nicht lang, sie einzuschätzen. Vor zehn Jahren hat er das neue, zweistöckige Haus an der Friedrich-Wilhelm-Brücke eingerichtet. Sein alter »Krug« am Königsweg, im anderen Teil des Dorfes, hatte ausgedient, nachdem der König diebefestigte Chaussee hatte errichten lassen, die Berlin und Potsdam direkter miteinander verband. In drei bis vier Stunden statt in sechs kam man nun über Charlottenburg und durch den Grunewald hierher. Der König selbst nahm diesen Weg und hatte schon bei ihm gerastet; Adlige auf dem Weg zu ihren Verwandten oder zu ihren Ämtern, Offiziere und Generäle, aber auch viele Händler: dieser Weg verband letztlich auch Königsberg mit Hamburg. Hier mussten alle vorbei. Manchmal verweilten sie nur kurz, für die Damen einen Kaffee, die Herren ein Bier, die Pferde eine Hand voll Hafer. Auch französische Soldaten und Offiziere stiegen hier ab, seit Napoleon Preußen unterworfen hatte.
    An diesem sonnigen Nachmittag im November ist der Betrieb eher ruhig.
     
    Machen wir hier eine Aufnahme.
    Ein Mann und eine Frau. Nicht alt, nicht jung. Nicht arm, nicht reich. Sie trägt einen auffallend leuchtenden blauen Mantel, schmal in den Schultern, über die Taille weit fallend, bis zu den Knöcheln ist er lang, darunter ist eine Hand breit von einem graubraunen Reisekleid zu sehen, städtische Stiefel aus braunem Leder an den kleinen Füßen. Ihr freundliches Gesicht ist blendend weiß, dunkles Haar betont dies noch, ihre hellblauen Augen haben eine eigene Intensität, groß und aufmerksam blicken sie in die Welt. Sie hält eine Reisetasche in der rechten Hand und einen Weidenkorb über dem linken Arm. Der Mann neben ihr, von mittlerer Größe und schweren Gliedern, nimmt gerade vom Kutscher einen Rucksack aus Leder entgegen, wie ihn Postleute oft für die Verstauungder Briefe um die Schulter hängen haben, ein Reiseranzen, mit Leder und Fell außen, der wohl schon einiges von der Welt gesehen hat. Zu seinem braunen Mantel aus gewalkter Wolle trägt er runde hellbraune Schlappstiefel, die etwas gelitten haben, seine Hosen sind grau. Die schwarzen Haare fallen unordentlich in die breite Stirn hinein, und seine auffallenden, ausdrucksvollen Augen sind unruhig und hellblau, fast wie die der Frau. Sie wirkt graziös, aber schüchtern, er ein wenig linkisch und leichtfüßig zugleich.
     
    Die Dame, der Herr.
    Guten Tag.
     
    Sie könnten Geschwister sein, so ähnlich sind sie einander, wie die Namen, die sie tragen: der ihre die weibliche Form des seinen. Heinrich und Henriette. Eine Bürgerliche und ein Adliger. Sie geben nicht viel darauf.
    Er ist vierunddreißig, sie einunddreißig Jahre alt.
     
    Im Zimmer, bevor Heinrich sie ruft, um den Spaziergang zu machen, will ihr eine Schwäche in die Glieder, befällt sie eine Beklommenheit, die sie fortzudrängen sucht wie den Gedanken an Pauline, ein gefährlicher Gedanke, der sie zurückholen könnte, aber nein, es gelingt ihr; beim Blick in den Himmel, dem Reiherpärchen hinterher, weiß sie, dass alles gut ist, dass sie ihr Kind
von dort aus
begleiten wird. Noch wartet der Lohnkutscher unten. Sie waren nicht mit der Journalière gefahren, einer sechssitzigen Kutsche, die zweimal am Tage von Berlin nach Potsdam fuhr und die Post gleich mitnahm.Sie hatten eine eigene Kutsche genommen, um allein sein zu können, der einzige Luxus, wenn man so will, für diesen Tag.
     
    Heinrich zeigte sich, ungewohnt gegenüber seiner sonstigen Sprunghaftigkeit, in ihrer »Angelegenheit« klug und besonnen, wie sie ihr Vorhaben untereinander nannten, oder »ihre kleine Verabredung«; er hatte darauf bestanden, den Kutscher warten zu lassen, bis er ihr die Stelle gezeigt haben würde. Der Kutscher musste ohnehin eine Pause machen, die Pferde waren ohne Halt von Berlin hierher
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