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Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit

Titel: Wir sehn uns wieder in der Ewigkeit
Autoren: Tanja Langer
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herumreichte; er hatte es sich einmal übersetzen lassen,
Toussaint, the most unhappy man of men!
Eine interessante Geschichte, die intellektuelle Kreise in Europa gespannt verfolgten, nicht nur wegen der heftigen Debatten über die Abschaffung der Sklaverei, nein: Toussaint war doch zumindest für einige Zeit der Widerstand gegen Napoleon gelungen! Zu dumm aber auch, dass Napoleon begriffen hatte, dass ihm die reichste Kolonie verloren gehen würde, ließe er ihn gewähren. Halb Frankreich war in Aufregung gewesen, als man Toussaint l’Ouverture in einer verschlossenen Kutsche vom Atlantik in das Fort nahe der schweizerischen Grenze gebracht hatte. Ein Teufel, hatte es geheißen, schwarz wie die Nacht, und grausam   …
    Heinrich und seine beiden Freunde Karl Franz von Gauvain und Christoph Albert von Ehrenberg, beide noch jünger als er, verwöhnter als er, vielleicht, waren vier Wochen lang quer durch Deutschland und Frankreich gefahren; über Mainz, Karlsruhe, Straßburg und Colmar
;
die Kutsche hatte die üblichen Pausen eingelegt; sie hatten Halt gemacht in miesen Spelunken und übernachtet in billigen Poststationen; in modrigen, kalten Kellern hatten sie auf der Erde auf dünnen Matratzen lagern müssen; die Pferde hatten es besser gehabt als sie. Albert hustete bald, er fror immerzu, bekam Fieber, es war immerhin Winter, ein kalter Winter mit viel Schnee und Eis, in diesem Februar 1807, eine schöne Reisezeit war das!
     
    Jetzt, auf der vergleichsweise kurzen Fahrt von Berlin nach Potsdam, erinnerte Heinrich sich lebhaft an diese längste Fahrt in seinem Leben, die Erinnerung leuchtete auf wie die Rosen, die er damals aus der Kutsche heraus gesehen hatte, in Besançon, die schon zu blühen anfingen, während ins Gebirge hinein, in das sie von dort aus gebracht wurden, noch tiefer Winter herrschte. Nie wieder hatte er die Schönheit dieser Blumen so lebhaft empfunden, so überraschend. Anders als damals wusste er jetzt, dass er aufbrach, um niemals wieder zu schreiben; vielleicht trat ihm diese Zeit der Hoffnung deshalb so klar ins Bewusstsein. Anders als damals konnte er sich jetzt nicht fallen lassen, um nachzudenken und sich etwas vorzustellen, das ihn begeisterte und beflügelte, das seinen Geist vollkommen fesselte, in diesem leichten Rausch, den er mehr liebte als alles andere, in dem er seiner selbst vollkommen sicher war – um sich genau darin vollkommen selbst zu vergessen. All dies war zerstoben. Schon seit Monaten hatte er Schwierigkeiten, sich auf etwas zu konzentrieren, ob auf einen Artikel oder Brief, geschweige denn auf eine Erzählung oder eine Geschichte, die er schreiben wollte. Der Faden riss ihm immer wieder, die Satzteile versprangen in ihrem Gefüge, bildeten rätselhafte Fragmente, die ihn anzustarren schienen, und die ganze Zeit versuchte er, diesen Vorgang des Zerfalls als ästhetisches Problem zu reflektieren. Aus dem halben Schritt, den er bei allem, was er tat und erlebte, zu sich selbst zur Seite machte, um es zur selben Zeit innerlich festzuhalten, war ein unmöglicher Abstand geworden, zu nah und zu fern zugleich. Dieses Sich-selbst-Wahrnehmen, mitten im Geschehen, im eigenenFühlen und Denken, das ihn wie mit halb gesenkten Lidern alles doppelt sehen ließ, klar und verschwommen, von innen und außen, hatte sich zu einer entsetzlich verzerrten Vervielfältigung gesteigert. Er dachte, es sei die notwendige Folge des
Zerfalls
Preußens, des Schwindens aller Sicherheiten, die der Bindungen der Menschen wie der Staaten, dass auch die literarischen Formen gesprengt werden müssten – zugleich aber musste er alles in seinem Kopf zusammenhalten, eine Erzählung hatte einen Anfang und ein Ende, ein Drama seinen dramatischen Verlauf – es fiel ihm immer schwerer, eine befriedigende Antwort auf alles zu finden, was er sah, erfasste und darstellen wollte. Die Ironie bedurfte noch immer eines
Anhaltepuncts
, einer Verankerung, doch wo, mit gutem Gewissen, mit intellektueller Redlichkeit, wo sollte dieser Punkt sein? Die Rückwendung zur Metaphysik als einem solchen Punkt, die manche seiner Freunde unternahmen, war doch kein wirklich durchdachter philosophischer Standpunkt, es war eine bequeme Flucht in die Religiosität, die er absolut nicht nachvollziehen oder teilen konnte. Eine Ästhetik, die dies alles bedachte und in ihrer Form reflektierte, müsste – – – Immer, wenn er in der letzten Zeit an einen bestimmten Punkt im Denken gelangt war, hatte sich eine große Müdigkeit
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