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Wir haben gar kein Auto...

Wir haben gar kein Auto...

Titel: Wir haben gar kein Auto...
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liebsten waren, und hatte inneres Gleichgewicht nötig. Ich habe meine Familie verlassen (mit starken Schuldgefühlen), doch schließlich hat eine unbekannte Ruhe mich gezwungen, in mich zu gehen. So habe ich nicht nur den Hügel gefunden, sondern auch ein neues Licht. »Das ist mein Leben«, habe ich mir gesagt.
    Der Sommer ist wirklich die schönste Zeit des Jahres und der Seele. Während ich auf dem Sofa meiner Terrasse in Italien liege und schreibe, lasse ich mich liebkosen von einer warmen Bö des Ponentino (der typisch römische Wind, der die Traurigkeit und die Wehmut hinwegzufegen vermag), vom angenehmen, berauschenden Duft meiner kleinen Tomaten, von leiser Musik aus dem Radio meines Nachbarn, vom Schrei der Möwen am Tiber und vom glücklichen Getöse der armen Häftlinge zum Klang des Glöckchens. Es ist die Stunde des Hofgangs. Ich wohne neben dem Gefängnis Regina Coeli, und von einer Seite meines romantischen Vorpostens kann ich nicht nur die Kuppeln der Ewigen Stadt sehen, sondern auch einige Gesichter hinter den vergitterten Fenstern der Zellen.
Bei ihrem Anblick denke ich: Diesen Gesichtern ist es nicht vergönnt, die Schönheiten der Via Claudia Augusta kennenzulernen und diesen langen Abschnitt, den Jutta undich auf dem Rad zurücklegen werden. Diese antike römische Straße, die den Po mit der Donau verband und die noch heute kurvenreich die Alpen durchquert. Ihnen ist nicht vergönnt, die bezaubernde Stadt Füssen in der Nähe von Schloss Neuschwanstein mit ihren Bergen, Seen und Hügeln zu bewundern, die zu den schönsten der Welt gehören. Ebenso wenig das wunderschöne Landeck, den alten Knotenpunkt von Kunst und Kultur. Ihnen ist auch nicht vergönnt, die ausgezeichnete Tiroler Grießnockerlsuppe oder ein Stück Apfelstrudel in Südtirol zu probieren. Ihnen wird lediglich eine Stunde pro Tag an der frischen Luft gewährt und allenfalls noch die Freude, einen Ball zu kicken.
    Ich denke an die Tour, die uns erwartet, und daran, dass es schöner gewesen wäre, wenn wir sie zu Beginn des Sommers statt Anfang September hätten machen können. Mit dem Fahrrad im Juni über das glühend heiße Pflaster fahren, zwischen dahinkriechenden Vipern und weidenden Kühen, Stirn und Schläfen von Schweißperlen bedeckt, die Augen hingerissen vom Anblick der Berge – das ist schon etwas anderes!
    Ãœbrigens erinnern mich im Sommer die noch schneebedeckten Berge an den
panettone
meiner Kindheit, den ich mit heißer Hefe bedeckte, damit er wie der Gran Sasso aussah! Ach, der Juni! Ich erinnere mich noch gut an die Spaziergänge mit Onkel Franco auf dem Corno Piccolo und dem Pass der Majella in den Abruzzen.
    Ich denke immer wieder an die günstige Gelegenheit, diese Tour jetzt zu unternehmen, und kann einige Ängste nicht verhehlen. Ängste, die ich Jutta allerdings immer verschwiegen habe. Ängste, die sich aus einer Reihe von ganz banalen, aber sehr vernünftigen Fragen ergeben. Was, wenn es regnet? Septemberregen ist schließlich etwas anderes. Was, wenn es zwei oder drei Tage am Stück regnet? Wirkönnen die Tour nicht zu lange ausdehnen. Am 15. 09. beginnen in München die Dreharbeiten zu einem gemeinsamen Film, und ich möchte vorher noch nach Rom zurückkehren und ein paar Tage mit meiner Tochter verbringen können. Was, wenn es kalt ist? Es reicht nämlich nicht, sich so gut wie möglich auszurüsten. Und überhaupt: Wie soll man verdammt noch mal fünf Kilo Sachen in zwei Taschen verstauen? Wenn ich ein zweites Paar Schuhe, zwei Unterhosen, zwei Paar Kniestrümpfe und zwei T-Shirts zum Wechseln sowie einen Pullover, eine Windjacke, ein Handtuch, das Handy, die Videokamera und gerade mal eine Rolle Toilettenpapier eingepackt habe.
    Vorläufig steckt der Anfang der Reise noch ganz in diesen wenigen Notizen. Über den Lenker gebeugt, wird es schwierig werden, sich Notizen zu machen. Doch ich habe mir überlegt, eine Webcam an meinem Helm zu installieren; auf diese Weise werde ich jeden Tag am Ende der Etappe die Bilder und Gedanken in meine Videokamera übertragen und von dort ins Tagebuch. Ein Vorgehen, das ich auch meiner Lebensgefährtin empfohlen habe, die, wie ich hoffe, einverstanden sein wird, unsere Tour in der Lebendigkeit einer Direktaufzeichnung zu dokumentieren. Bis dahin werde ich erst einmal ein wenig trainieren, um meine Widerstandskraft und
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