Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Wir haben gar kein Auto...

Wir haben gar kein Auto...

Titel: Wir haben gar kein Auto...
Autoren: authors_sort
Vom Netzwerk:
Trapez mit Netz zu arbeiten oder mit Topflappen zu kochen. »Wenn du nicht imstande bist, eine Backform ohne Fäustlinge aus dem Ofen zu nehmen«, sagt er, »lass dir lieber gleich was zu essen kommen.« Das gleiche Prinzip gilt in seinem Fitnessstudio: »Wenn du jemanden brauchst, der dir dabei hilft, die Gewichte anzuheben, dann schreib dich für einen Yogakurs ein.«
    Ich erzähle ihm von unserer geplanten Fahrradtour und frage ihn, ob ich in den nächsten zwei Wochen ein wenig Spinning machen könne. Er empfängt mich in seinem Rennstall, warnt mich aber, dass er ein tougher Typ sei.
    Â»Vergiss dein Outfit nach der neuesten Mode und bereite dich darauf vor, vorher und hinterher zu trainieren. Mit mir wird nicht auf Sparflamme gearbeitet, und der Herzfrequenzmesserist obligatorisch, um stets das Maximum herauszuholen«, erklärt er mir.
    Ich denke bei mir: Und das muss mir passieren, das werden zwei Wochen in der Hölle sein! Erster, zweiter, dritter, vierter, fünfter Tag.
    Â»Treten, treten, treten, nur keine Müdigkeit vorschützen. Weißt du, wie viel Energie man mit einer Stunde Spinning am Tag produziert? Genug Gleichstrom für mindestens ein Paar photovoltaische Sonnensegel.«
    Vielleicht wäre es besser gewesen, sich von diesem berühmten Fitnessgerätehersteller sponsern und sich einen Hometrainer nach Hause schicken zu lassen. Doch Jutta war strikt dagegen, als das Thema aufkam. »Zu viele Sponsoren ruinieren unsere Reisephilosophie«, sagte sie.
    Du wolltest das Fahrrad? Dann tritt jetzt auch in die Pedale! Dieses Motto begleitet von nun an meine Augusttage.
    Alles hängt davon ab, auch an den Tagen nicht im Eifer nachzulassen, an denen die Lust, sich auf dem Sattel abzustrampeln, wahrhaftig nicht gerade groß ist. Doch die Begeisterung ist da, und sie nimmt mit jedem Tag zu. Ich hoffe, dass sie mich auch auf dem gewundenen Weg begleiten wird, der uns von München nach Meran führen wird.
    Die körperliche Ertüchtigung beginnt allmählich Wirkung zu zeigen, und damit meine ich nicht nur die Muskeln. Meine Haut ist glatter geworden, und ich bin wacher im Kopf. Im Gegensatz zu früher esse ich mehr Proteine und weniger Kohlehydrate, und auch sonst passe ich auf, selbst wenn ich sonntags gerne auf dem Sofa herumlümmele, und einen schönen Teller
strozzapreti al ragù
lasse ich mir von niemandem madig machen. Morgens mache ich auf Lous Rat hin sogar ein paar Atemübungen, die mir helfen, mich zwischen zwei Sitzungen zu konzentrieren und zu entspannen.
Bald habe ich meine vorletzte Sitzung. Heute zeigt Lou mir das Trainingsprotokoll und gratuliert mir zu meinen Fortschritten: Ich bin jetzt imstande, in aller Ruhe und ohne Pause neunzig Minuten Spinning zu absolvieren, und schaffe die klassischen drei mal zehn Wiederholungen auf der flachen Bank in einer Minute in furchterregender Geschwindigkeit.
    Das Fitnessstudio beginnt mir zu gefallen, und zwischen all diesen Geräten, Spiegeln und Bänken, im Schweiß und zwischen den Handtüchern in den Umkleideräumen entdecke ich eine »kraftvolle« Menschheit. Auf dem Sattel zu sitzen und in die Pedale zu treten zwingt mich, auf die Zeit und den Raum zu achten. Ich kann dabei all die Leute beobachten und studieren, die durch die Eingangstür kommen, und mir Filme über ihr Leben ausdenken.
    Was habe ich hier drin alles an kuriosen Typen gesehen: die »Narzisstin«, die ihren perfekten Körper vor dem Spiegel zur Schau stellt; den »Aufgeblasenen«, der sich an einem Tag epiliert und am nächsten nicht müde wird, mir gegenüber mehrfach zu erwähnen, wie sehr ihm meine üppig behaarten Waden missfallen; die »gestresste« Angestellte der Stadtverwaltung, die mit leidenschaftlicher Begeisterung hierherkommt, um sich hinter dem Rücken ihres Mannes mit ihrer lesbischen Freundin zu treffen; den »reuigen Sünder«, der unter seiner sitzenden Lebensweise leidet (er arbeitet in einem Bestattungsinstitut, allerdings in der Buchhaltung); die fünfzigjährige »Herzensbrecherin«, die meint, sie könne auf ihre jüngeren Opfer, möglichst zwischen sechzehn und zwanzig, Eindruck machen; und nicht zuletzt den »Rockerpriester« und sein schönes Tattoo mit dem Spruch »Fuck you all« auf dem kräftigen linken Oberarm. Religion ist was anderes, doch was für ein prachtvoller Menschenzoo!
    In wenigen Tagen fliege ich nach
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher