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Wir Ausgebrannten

Wir Ausgebrannten

Titel: Wir Ausgebrannten
Autoren: Hilmar Klute
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wir unsere feinsten Sensoren jeden Tag für kommerzielle, mitunter verlogene Gespräche missbrauchen, machen die irgendwann schlapp oder rächen sich mit komplettem Stromausfall. Auf einem Mangel an Sensibilisierung kann die Burnout-Epidemie nicht gründen. Sensibel sind wir alle, und wir lauschen nicht nur auf die möglichen geschäftsrelevanten Reaktionen des Telefonpartners, nein, wir lauschen auch in uns selber hinein wie neugierige Nachbarn. Und wenn wir etwas in uns entdecken, glauben wir, dem inneren Frieden näher zu sein. In Wahrheit haben wir nur ein neues Feld für unsere Selbstkasteiung gefunden.

WER SAGT, DASS DIE ARBEIT UNS ERFÜLLEN MUSS?
    Wenn der griechische Philosoph Aristoteles heute noch leben würde, käme vermutlich keine Talkshow zum Thema Arbeit und Glück ohne ihn aus. Er wäre der Agent Provocateur der modernen Medienwelt und die Leserbriefspalten in den Zeitungen würden überquellen von fiebriger Wut über diesen Mann und seine unerträglichen Ansichten zum Verhältnis der Menschen zu ihren bezahlten Tätigkeiten. Frank Plasberg würde nicht müde werden nachzuhaken, ob Aristoteles das wirklich ernst meinen würde mit der Arbeit und der Muße, und Plasberg würde immer wieder Filme einspielen, in denen Menschen am Fließband stehen und Schrauben drehen, und er würde Aristoteles die öffentlich-rechtliche Frage stellen: »Herr Aristoteles, würden Sie diesen Menschen auch raten, sich lieber der Muße zuzuwenden als der Arbeit?«
    Aristoteles, wir kennen ihn gut genug, bliebe gelassen und würde selbstverständlich bejahen. Denn wer sagt denn, dass Arbeit und Glück wirklich zusammengehen müssen? Es ist eine Annahme der Burnout-Gesellschaft, dass wir mit unserer täglichen Arbeitsleistung dasjenige erfüllen, was zu einem gelungenen Dasein ausreicht. Aristoteles stand auf dem zweifellos provokanten Standpunkt, dass eine bezahlte Arbeit und ein erfülltes Leben inkompatibel seien. Wer für Geld arbeitet, unterscheidet sich vom Sklaven lediglich dadurch, dass er für seine elende Schinderei bezahlt wird. Aber die körperliche Arbeit, die Arbeit der Handwerker genauso wie die Geschäfte der Kaufleute, führen, so wusste es Aristoteles, zu einer unvorteilhaften Verformung der Seele und des Geistes. Was also wäre, ginge es nach Aristoteles, ein würdiges und glückliches Leben? Natürlich das Dasein des reichen Erben, des gut bestellten Privatiers, der sich der Kunst und der Philosophie widmen kann und ansonsten dem Sündenfall Arbeit und Mühe entgeht.
    In unseren Tagen werden solche Lebensentwürfe selten zu finden sein, die meisten von uns müssen einer bezahlten Arbeit nachgehen, und je intelligenter und gebildeter wir sind, umso komplexer ist die Art der Tätigkeit, der wir uns Tag für Tag stellen müssen. Zumal unser Verhältnis zur Arbeit sich im Laufe der Jahrhunderte zugunsten der Werktätigkeit entwickelt hat. Dem Müßiggang den Vorzug vor der harten Maloche zu geben, kam natürlich nie so richtig in Mode, und der aristotelische Geist fand seine Anhänger mehr in den philosophischen Seminaren als in den Zünften und Handwerkskammern. Im Zuge der europäischen Aufklärung im 18. Jahrhundert wurde die Arbeit sogar zu einem Instrument der Humanisierung, vorausgesetzt, die Bedingungen waren menschlich, was aber bekanntermaßen nicht eben die Regel war. Ein Mensch, der nicht arbeitete, war ein Mensch, der nicht lebte. Arbeit und Persönlichkeit verschmolzen ineinander, es gab den Stolz der Stände, den Stolz der Handwerker, den Stolz der Arbeiter, der später in die großen revolutionären Umwälzungen des industriellen Zeitalters geführt hat. Die Arbeit wurde mehr und mehr zum Statussymbol, sie war der Orden, den sich jeder Mensch anheftete. »Und weil der Mensch ein Mensch ist, drum braucht er was zu essen, bitte sehr – es macht ihn ein Geschwätz nicht satt, das schafft kein Essen her.« So sang Brecht in seinem Einheitsfrontlied. Kurz zusammengefasst: Die Arbeit war eine Lebenshaltung und ein Instrument des Lebensunterhalts. Diese Balance gestattete arbeitenden Menschen früherer Tage, das Leben und die Arbeit so miteinander zu vereinen, dass das eine dem anderen von Nutzen war.
    Heute ist die Arbeit mehr und mehr zum Feind unserer inneren Befindlichkeit geworden. Im täglichen Arbeitsstress lauert eine diffuse Gefahr für unser Wohlbefinden, von dem wir längst gewandelte Vorstellungen haben. Wohlbefinden ist etwas, das weit außerhalb unseres beruflichen Alltags stattfindet,
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