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Herbstfeuer

Herbstfeuer

Titel: Herbstfeuer
Autoren: Lisa Kleypas
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PROLOG
    London, 1843
    Zwei junge Frauen standen vor dem Eingang zum Parfümgeschäft. Unwillig zupfte die kleinere der beiden am Ärmel der anderen. „Müssen wir da hineingehen?“, fragte sie mit einem leichten amerikanischen Akzent und sträubte sich, als die andere sie mit sich in den schummerig beleuchteten Laden ziehen wollte. „An solchen Orten langweile ich mich immer so sehr, dass ich heulen könnte, Lillian – und du stehst da und riechst stundenlang an …“
    „Dann warte mit dem Mädchen in der Kutsche.“
    „Das ist ja noch langweiliger! Außerdem soll ich dich nirgendwo allein hingehen lassen. Ohne mich gerätst du in Schwierigkeiten.“
    Das größere Mädchen lachte ein wenig zu laut, als sie doch gemeinsam den Laden betraten. „Du willst mich nicht davon abhalten, in Schwierigkeiten zu geraten, Daisy. Du willst nur nicht außen vor bleiben, wenn es geschieht.“
    „Unglücklicherweise birgt ein Parfümgeschäft kaum irgendwelche Abenteuer“, lautete die verstimmte Antwort.
    Auf diese Bemerkung hin erklang ein leises Geräusch, und die beiden Mädchen drehten sich um zu einem bebrillten älteren Mann. Er stand hinter der eichenen Ladentheke, die eine ganze Seite des Raumes einnahm. „Sind Sie da ganz sicher, Miss?“, fragte er und lächelte, während die beiden näher kamen. „Manche Menschen halten Parfüm für pure Magie. Und vielerlei Düfte können die Geister einer verlorenen Liebe wiedererwecken oder die süßesten Erinnerungen.“
    „Geister?“, wiederholte Daisy neugierig, und das andere Mädchen bemerkte ungeduldig: „Er meint es nicht wörtlich, Liebes. Parfüm lockt keine Geister an. Und es ist auch keine richtige Magie. Es ist nur eine Mixtur aus kleinen Partikeln, die die Geruchszellen in deiner Nase ansprechen.“
    Der alte Mann, Mr. Phineas Nettle, betrachtete die beiden Mädchen mit wachsendem Interesse. Keine von ihnen war im üblichen Sinne eine Schönheit, dennoch wirkten sie sehr reizvoll mit ihrer hellen Haut, dem schweren dunklen Haar sowie einer gewissen Natürlichkeit der Züge, über die besonders amerikanische Mädchen zu verfügen schienen. „Bitte.“ Er deutete auf eine Reihe von Wandregalen. „Sehen Sie sich meine Waren an, Miss …“
    „Bowman“, ergänzte das ältere der Mädchen freundlich. „Lillian und Daisy Bowman.“ Sie warf einen Blick auf die teuer gekleidete blonde Frau, die er gerade bedient hatte, und schien zu verstehen, dass es noch einen Moment dauern würde, bis er sich um sie kümmern konnte.
    Während die unentschlossene Kundin sich über ein paar Parfüms beugte, die Nettle für sie hervorgeholt hatte, sahen die amerikanischen Mädchen die Regale mit Parfüms, Kölnisch Wasser, Pomade, Cremes, Seifen und anderen Dinge für die Schönheitspflege durch. Es gab Badezusätze in Kristallflakons, Zinnbehälter mit Kräutertinkturen und kleine Schachteln mit Veilchenpastillen, um den Atem zu erfrischen. Weiter unten standen Duftkerzen und parfümierte Tinte, Beutel, gefüllt mit nelkengeschwängerten Riechsalzen, Potpourrischalen und Krüge mit Pasten und Salben. Es fiel Nettle auf, dass das jüngere der Mädchen, Daisy, das Sortiment nur mit mäßigem Interesse begutachtete, die ältere aber, Lillian, vor einer Reihe von Ölen und Extrakten stehen geblieben war, die reine Düfte enthielten. Rose, Frangipani, Jasmin, Bergamotte und so weiter. Sie hob eine Flasche mit Ambra und roch genießerisch daran.
    Endlich hatte die blonde Frau sich entschieden, erwarb einen kleinen Parfümflakon und verließ den Laden. Ein Glöckchen bimmelte durchdringend, als sich die Ladentür hinter ihr schloss.
    Lillian hatte sich umgedreht, sah der Frau nach und murmelte gedankenverloren: „Ich frage mich, warum so viele hellhaarige Frauen nach Ambra riechen …“
    „Du meinst die Seife?“, fragte Daisy.
    „Nein, ich meine ihre Haut selbst. Ambra, und manchmal Honig …“
    „Wovon um alles in der Welt redest du?“, fragte das andere Mädchen und lachte ein wenig irritiert. „Menschen riechen nach gar nichts, außer wenn sie eine Wäsche nötig haben.“
    Die beiden sahen einander an, und jede wirkte ehrlich überrascht. „Aber ja doch, sie tun es“, sagte Lillian. „Jeder Mensch besitzt einen bestimmten Duft – oder willst du behaupten, du hättest das nie bemerkt? Dass manche Menschen nach Bittermandel riechen oder nach Veilchen, während andere …“
    „Andere riechen nach Pflaume, nach Palmsaft oder frischem Heu“, bemerkte
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